Hat man Gelegenheit, eine größere Reihe medizinischer Handschriften des 9. bis 11. Jahrhunderts aus dem Abendland durchzusehen, so findet man außer den Abschriften von Werken klassischer und nachklassischer bekannter und benannter Autoren hauptsächlich zwei Gruppen, die des öfteren wiederkehren:
Sammlungen ärztlicher Kasuistik und Arzneiverordnungen, sowie Zusammenstellungen kleiner theoretischer Abschnitte, die von den Komplexionen und Elementen und Jahreszeiten, den günstigen und ungünstigen Tagen, dem Aderlaß, den Aderlaßstellen, den Monatszeiten, der Krankheitsvoraussage mittels der "Sphaera Pythagorae" usw. handeln.
Entwicklung[]
Mit zu den frühesten Arzneibüchern gehört De observatione ciborum des griechischem Arztes Anthimus aus der Zeit um 500.
Frühmittelalter[]
7. Jahrhundert[]
In die Reihe von theoretischen Schriften gehören u.a. die medizinischen Aufzeichnungen des angelsächsischen Historikers Beda Venerabilis (673-735), Presbyter des Klosters Wearmouth. Vor allem die kleine Schrift De minutione sanguinis sive de phlebotomia handelt von den Purgationen, den ägyptischen Tagen und beschreibt die Monatsregeln [1]. Auch einige Abschnitte des Büchleins De natura rerum [2] sind dabei zu beachten.
8. Jahrhundert[]
Auch durch Alhwine (Alkuin), den angelsächsischen gelehrten Berater Karls des Großen, an Hraban (780-856), seinen berühmten Schüler und Abt von Fulda, wurde die hoch entwickelte gelehrte Heilkunde der Angelsachsen vermittelt. Von der Sammlung und Ausarbeitung praktischer Anweisungen für Arzneibereitung und Arzneianwendung sind einige Reste erhalten, so z.B. die beiden Basler Rezepte aus dem Ende des 8. Jhs., die angelsächsischen Einfluss zeigen. Fast alle medizinischen Schriften dieser Art, die bis zum Jahr 1000 in germanischen Sprachen erhalten sind, weisen angelsächsische oder northumbrische Einflüsse auf, so z.B. ein Augensalbenrezept des 8. Jh. [3].
- Lorscher Arzneibuch (um 795)
9. Jahrhundert[]
Hraban widmete in seiner Physica sive de Universo (um 800-856), unter starker Benutzung der Etymologien des Isidor von Sevilla, Buch VI der menschlichen Anatomie, Buch VII den menschliche Lebensaltern und den Mißgeburten, Buch XVII den Gestirnen, Buch XVIII der Medizin und den Krankheiten, Buch XIX dem Pflanzenreich [4].
Sein Schüler war wiederum Walahfrid Strabo (807-849), später Dekan des Klosters zu St. Gallen und zuletzt Abt auf der Reichenau, wo er seinen Kräutergarten von 23 Arzneikräutern anlegte, den er dann in seinem Hortulus in 444 Hexametern besang [5]. Die deutschen Glossen einer Leipziger Handschrift [6] beweisen, wie das Buch noch ein Jahrhundert später populär nutzbar gemacht wurde. Von den zahlreichen medizinischen Büchern des Bischof Wigbert von Hildesheim (880-903) fehlt leider nähere Kunde; sie dürften gelehrter Art gewesen sein.
10. Jahrhundert[]
Balds Laeceboc in zwei Büchern aus der Zeit von 900-950 [7] [8] weisen einen großen angelsächsischen Einfluss auf.
Hochmittelalter[]
11. Jahrhundert[]
Vom Anfang des 11. Jhds. stammem das Laeceboc und die Lacnunga, eine Rezeptsammlung aus der Zeit um 1000 in 123 Abschnitten und eine angelsächsische Übersetzung des Herbarium Apuleii Platonici aus der gleichen Zeit. Eine ganze Reihe von Einzelrezepten, kurz nach dem Anfange des 11. Jhs. geschrieben, veröffentlichte Thomas Oswald Cockayne [9].
12. Jahrhundert[]
Einen stärkeren Einfluss der Volksmedizin beinhaltet die Physica der heiligen Hildegard von Bingen, deren Schriften ins 12. Jahrhundert fallen.
13. Jahrhundert[]
Der spanisch-arabische Arzt und Botaniker Abu Muhammad Ibn al-Baitar beschrieb um 1230 im Kitab al-gami über 1400 pflanzliche Heilmittel und ihre Rezepturen. Aus altnordischer Literatur ist kein medizinischer Text vor der Mitte des 13. Jhds. bekannt.
Renaissance und Folge[]
16. Jahrhundert[]
Leonhard Fuchs veröffentlichte 1543 mit dem New Kreüterbuch eines der wichtigsten Kräuterbücher in deutscher Sprache, das zahlreiche Arzneipflanzen abbildet und ihre Wirkung beschreibt.
17. Jahrhundert und Folge[]
Im 17. und 18. Jhd., als Metallzubereitungen in Arzneibüchern stark zunahmen, übernahm man viel von der alchemistischen Nomenklatur. So sind als Signaturen (Aufschriften) für Standgefäße und in Rezepten vielfach die alchemistischen Symbole für die Metalle verwendet worden, die bei den klassischen Metallen gleichzeitig die Planetensymbole darstellen. Im 19. Jhd. löste dann das System von J. J. Berzelius (1779-1848) nach und nach auch diese Symbole an. Die uns heute geläufige Formelsprache der Chemie (Anfangsbuchstaben der lateinischen Namen, z.B. „Au“ für Gold) setzte sich durch. [10]
Weblinks[]
- Lorscher Arzneibuch
- Lorscher Arzneibuch (Digitalisat mit deutscher Übersetzung der Staatsbibliothek Bamberg – Kaiser-Heinrich-Bibliothek)
- Anthimus: De observatione ciborum ad Theodoricum regem Francorum epistula
- Anthimi De observatione ciborum ad Theodoricum regem Francorum epistula. Übersetz. Eduard Liechtenhan Teubner, Leipzig, Berlin 1928. 2. Ausgabe Akademie-Verlag, Berlin 1963 (Corpus medicorum Latinorum 8, 1). Volltext der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Quellen[]
- Handbuch der Geschichte der Medizin. Julius Leopold Pagel. Bearb. von Arndt [et al.] (1902). Band I, S. 627 - 634.
- English Medicine in the Anglo-Saxon Times: Two Lectures Delivered Before the Royal College of... (1904). J. F. Payne.
- Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Band 1. Von Johannes Hoops, 1918—1919. S. 125 f.
Einzelnachweise[]
- ↑ Vgl. English Medicine in the nglo-Saxon Times (Internet Archive). Joseph Frank Payne. Oxford : Clarendon Press, 1904. S. 15-22.
- ↑ Complete Works. Ed. Giles, Band VI (1843), S. 349 ff. und 99 f.
- ↑ Zeitschrift für deutsches Altertum. Berlin, 1841, 1867. Digitalisat Mediaevum.
- ↑ Vgl. d. Ausgabe. in Mignes Patrol. und Stefan Feiner, Comp. der Naturwissenschaften an der Schule zu Fulda, 1879.
- ↑ siehe: Arzneikräuter und die Ausgabe von Reuth, Würzburg 1834, von Walchner, Karlsr 1838 und in den Monumenta Germaniae historica. Poet. lat. aed. Carolini Tom. II 335 - 350.
- ↑ Hrsg. v. E. Sievers, Zeitschrift für deutsches Altertum. Berlin, 1841. 15, 532—534, 1872.
- ↑ Leechdoms, Wortcunning, and Starcraft of Early England (Internet Archive). 3 Bände. Thomas Oswald Cockayne. London 1864-66. Bd. II, S. 2.
- ↑ Bibliothek der angelsächsischen Poesie (Internet Archive). Christian Wilhelm Michael Grein, Richard Paul Wülker. Kassel : G. H. Wigand, 1883 ff. Bd. VII, S. 91.
- ↑ Vgl. auch das Rezept gegen Durchfall (vidae utsiht) in der Zeitschrift für deutsches Altertum. Berlin, 1841. Ausgabe 13, S. 202.
- ↑ Schautafel im Deutschen Apotheken-Museum im Heidelberger Schloss, 12.07.2022.