Der Glaube, dass gewisse Menschen durch ihren Bösen Blick ihren Mitmenschen oder Tieren Schaden zufügen können, ist über einen großen Teil der Erde verbreitet. Auch bei den Germanen findet er sich seit ältester Zeit. Er ist zu unterscheiden von dem scharfen, durchdringenden Auge, dass Göttern, manchen Helden und manchen Geschlechtern eigen ist (z.B. Thor, Sigurd), wenn auch beide aus der Vorstellung von der Macht des Auges entsprungen sind.
Beschreibung[]
Der Böse Blick oder das Böse Auge wurzelt im Glauben an die Zauberkraft gewisser Menschen und die magische Gewalt des Auges, die aus dem starren Hinblicken auf eine Person oder einen Gegenstand spricht. Er ist den Menschen entweder angeboren, wie den beiden Brüdern Hallbjǫrn und Stígandi in der Laxdaela saga (K. 37), oder er ist angeworben, erlernt, wie z.B. Königin Gunnhildr ihn in der Fornmanna-Sögur von Finnen erlangte (Fms. I 9; II 6).
Mit dem Bösen Blick behaftet sind vor allem Riesen, Berserker, Völven; noch in jüngster Zeit Hexen oder liederliche Frauenzimmer, deren magische Gewalt man an den dunkeln, stechenden und triefenden Augen erkennen konnte. Erworben werden konnte diese Macht z.a. auch, wenn sich ein erwachsener Mensch, Mann oder Frau, von einem Weib mit dem Bösen Blick säugen läßt.
Überlieferung[]
Der Glaube an den Bösen Blick findet sich bei allen germanischen Stämmen. Es sind die twerhe ougen der mittelhochdeutschen Quellen, das augnabragð der nordischen Quellen, und er lebt im dän. ondt öje oder öjesyn, sowie im schwed. Begriff der onda ögon bis zur Gegenwart fort. In der alten Zeit schrieb man besonders Finnen- und Bjarmländern den Bösen Blick zu. Im Allgemeinen tötet der Böse Blick.
So warnte Königin Gunnhildr in der Fornmanna-Sögur Eirik und seine Genossen davor, sich von den Finnen sehen zu lassen, da ihr Blick sie töte (Fms. I 9). Ebenso mußte sterben, was der zauberkundige Grimr ægir in der Fornaldarsögur anblickte (Fas. III 345). Aber auch anderes Unheil konnte er stiften: vor dem Blick des Riesen Hymir zerbarsten z.B. gar die Säulen (Hymiskvidha, 12).
„"Du siehst sie sitzen an des Saales Ende; So bangen sie, dass die Säule sie birgt." Die Säule zersprang von des Riesen Sehe (bösen Blick), und entzweigebrochen sah man den Balken.“
– Ältere Edda: Hymiskvidha, 12
Der zauberkundige Stígandi der Laxdaela saga vernichtete durch einen Blick den ganzen Graswuchs, dass ein Feuerwirbel über die Fläche gegangen wurde (K. 38). Ganz besonders stumpfte er geweihte Schwerter, weshalb man sie den Berserkern nicht zeigen durfte, wenn man mit diesen den Zweikampf aufnahmt (Isl. S. II; FaS. III 606 und öft.). Selbst die Pfeile des Gegners konnte der Böse Blick im Fluge hemmen (Havamal, 151).
„Ein fünftes kann ich: fliegt ein Pfeil gefährdend übers Heer daher. Wie hurtig er fliegt, ich mag ihn hemmen, erschau ich ihn nur mit der Sehe (dem bösen Blick).“
– Ältere Edda: Havamal, 151 (Odins Runenlied)
Schutzmaßnahmen[]
Wirkungslos konnte man laut Vatnsdœla saga den Bösen Blick machen, wenn man der damit behafteten Person scharf ins Auge schaute, ehe sie selbst ins Auge blicken konnte (Vatnd. S. K. 26). In der Regel wurde ihr aber ein Fellsack über das Gesicht gestülpt (Laxd. S. K. 37; 38. Fms. I S. 9 f.), oder es wurde durch Gegenzauber (zeigen nackter Körperteile) oder durch Feuer der Böse Blick unwirksam gemacht.
Der Böse Blick in der Neuzeit[]
Wie tief der Böse Blick im Volksglauben verwurzelt war, zeigt der noch in der Neuzeit weitverbreitete Glaube daran, der altes Erbgut ist. Danach werden von ihm vor allem Kinder getroffen; diese werden 'verneidet' (Bayern), 'übersehen' (Mitteldeutschland), 'verschienen', 'verscheinen' (Norddeutschland). Aber auch Erwachsene, Tiere, Gebäude, Felder sind betroffen.
An Menschen und Tieren bewirkt der Böse Blick Krankheiten (besonders Skrofeln), Abmagerung und Wahnsinn. Kühe verlieren durch ihn ihre Milch. Alle Arbeit, auf der er ruht, mißrät; Wiesen und Felder, die ihm ausgesetzt sind, verdorren. Auch Tiere können mit dem Bösen Blick behaftet sein; in alter Zeit war es besonders die Schlange, der ormr, in neuerer sind es vor allem die Tiere der Fabelwelt und Bastarde.
Quellen[]
- Der Aberglaube des Bösen Blicks bei den Alten (Google Books). Otto Jahn. Berichte der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. s.t., 1855.
- Der böse Blick und Verwandtes: ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens aller Zeiten und Völker (Internet Archive). Siegfried Seligmann. 2 Bände. Berlin : H. Barsdorf, 1910.
- Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart (Internet Archive). Adolf Wuttke. Berlin, Wiegandt & Grieben, 1900. §. 220.
- Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 4 Bände (1. Aufl.). Johannes Hoops. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. I, S. 304 f. Art. E. Mogk.