Der Eorl bezeichnete bei den Angelsachsen einen adligen Würdenträger, der die Versammlung des Gaus leitete und die Gefolgsleute im Krieg anführte. In Verwandtschaft dazu steht der altnordische Jarl, der althochdeutsche, altsächsische Erl und der daraus abgeleitete neuenglische Earl - 'Graf'.
Beschreibung[]
In den frühesten angelsächsischen Quellen, besonders in den nationalen Dichtungen, kommen häufig Anspielungen auf einen Würdenträger vor, der eorl genannt wird. Dieser Titel bzw. eine verwandte Form findet sich in mehreren germanischen Mundarten. Mitunter wird das Wort in der Bedeutung von ‚Mann‘ gebraucht, wie z. B. in der altsächsischen Dichtung Heliand.
In späteren altnordischen und altenglischen Denkmälern bezeichnete es einen königlichen Beamten und entspricht ungefähr dem mittelalterlichen lat. comes - ‚Gaugraf‘. Häufiger aber weist es auf ein Mitglied der militärischen Aristokratie hin; ein bemerkenswerter Beleg hierzu ist die Beschreibung des Jarl in der eddischen Dichtung Rigsthula, die sich nicht auf einen bloßen Kriegsmann bezieht, sondern auf einen Anführer hindeutet, einen lat. princeps (Fürsten), den auch Tacitus erwähnt und der sich mit einer Schar auserwählter Jünglinge umgab. [1].
Zur Erklärung der Eorlschaft wurden verschiedene Theorien aufgestellt. Eine Ansicht war, dass die Eorls von der Krone ernannte Beamte waren; aber dies hätte, überall wo die Institution erscheint, eine organisierte Monarchie zur Voraussetzung. Beinahe alle Forscher sind der Meinung, dass sie einen alten Erbadel bildeten, obgleich sich nicht hinsichtlich ihres Zusammenhangs mit der Gefolgschaft alle einig waren. Ältere Schriftsteller verwerfen die oben ausgesprochene Ansicht, dass der Eorl der Anführer einer solchen Gefolgschaft gewesen sei.
Herkunft[]
Bei der Bestimmung der Bedeutung des Ausdrucks sind Forscher auf Dichtungen und Gesetze als Quellen beschränkt:. Die Eorls der Wikingereinfälle kommen dafür allerdings nicht in Betracht und auch die Reimformel eorl and ceorl aus den Gesetzen Alfred des Großen (848-899) ist lediglich ein altes Überbleibsel dieses Ausdrucks. Die wirkliche Eorlschaft muss in Quellen aus der Zeit vor 850 gesucht werden. So erscheint der Eorl z.B. in den kentischen Gesetzen des 7. Jhds. als aktive Realität:
Er gehört einer höheren sozialen Klasse an, hat ein höheres Wergeld als der Ceorl und seinem Heim bzw. seiner Familie wird ein höherer Schutz zuteil. Er gehörte zu einer privilegierten Klasse militärischen Charakters, deren Mitglieder in Burgen wohnten und Kriegsgefolge hatten. Widsith der Wanderer [2] sagt in seiner Beschreibung der zerstörten Burg von dem Eorl, dass er „seine Mannen im Grabe verberge“. Die Patriarchen mit ihrem großen Haushalt werden vom Verfasser der Genesis als Eorls betrachtet.
Auch wenn der entgültige Beweis nicht erbracht werden kann, so legen die Zeugnisse doch nahe, dass der Eorl nicht nur ein Kriegsmann, sondern zugleich ein Anführer von Kriegern in dem besonderen germanischen Sinne war. Bemerkenswert ist die Leichtigkeit und Natürlichkeit, womit der Titel, nachdem er sich in langer Entwicklung von seiner germanischen Bedeutung entfernt hatte, plötzlich in seinem ursprünglichen Sinne wiedererscheint. Die Wikinger-Eorls des 9. Jhds. können keine grundherrlichen Barone gewesen sein; sie waren eher Seeräuberführer, jeder an der Spitze eines lat. comitatus (Gefolgschaft).
Niedergang[]
Im Zuge der Angelsächsischen Eroberung Englands ging in den neuen Ansiedlungen aus den Eorls offenbar ein lokaler Adel hervor. Mit dem Eintreten friedlicherer Zustände und der Entstehung des Königtums in England schwand die Bedeutung der Eorls als militärische Führer, und die Eorlschaft verfiel. Mutmaßlich vollzog sich dieser Niedergang im 7. Jh.; denn der Eorl scheint in den kentischen Gesetzen aus dem Anfang dieses Jhds. noch Bedeutung gehabt zu haben, während im 8. Jh. nicht der Eorl der hervorragende lokale Magnat war, sondern der Gesith (Gefolgsmann) oder, wie Beda ihn nennt, der lat. comes. [3]
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Quellen[]
- Chadwick, Hector Munro. Studies on Anglo-Saxon Institutions (Google Books). Russell & Russell, 01. 01. 1963. S. 161 ff. 380 ff.
- Hoops, Johannes. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 1. Auflage, 4 Bände. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. I, S. 614.
- Meyers Großes Konversations-Lexikon (auf Zeno.Org). 6. Auflage. Leipzig, 1905–1909. Bd. 10, S. 200 (Eorl).
- Stubbs, William. The Constitutional History of England in Its Origin and Development .. (Internet Archive). The Clarendon press, 1875. Band I, S. 86.
- Waitz, George. Deutsche Verfassungsgeschichte (Internet Archive). Berlin 1880-96. Band 1, S. 146 f.