Mittelalter Wiki
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Der Gau oder Gäu (ahd. gawi, gewi, gowi, and. mnd. mndl. , afries. gá, gó) bezeichnet vorrangig einen geographischen Landesbezirk. Obwohl er häufig mit dem lat. pagus gleichgesetzt wird, gibt es durchaus Unterschiede in der Bedeutung.

Beschreibung[]

In den Quellen der fränkischen und nachfränkischen Zeit findet sich das Wort „Gau“ häufig als geographische Bezeichnung, die mit pagus übersetzt wird, und die sich vor allem als Suffix in geographischen Namen (Neckergowe, Naglachgowe etc.) spiegelt.

Die gewöhnliche Bedeutung von „Gau“ ist allerdings, ebenso wie die von „Land“, eine rein geographische; es bezeichnet eine nicht fest abgegrenzte, sondern nur im Allgemeinen der Lage nach bestimmte Gegend, keinen politischen Bezirk, bzw. das offene Land schlechthin, ebenso wie heute noch in Süddeutschland manche Gegenden, die nie politische Einheiten bildeten, als Zabergäu, Strohgäu, oberes Gäu etc. bezeichnet werden, oder der Süddeutsche aus der Stadt „aufs Gäu“ wandert, wie der Norddeutsche „aufs Land“.

Etymologie[]

Das Wort „Gau“ kommt auch im Gotischen als gawi vor, ist dem Skandinavischen dagegen unbekannt. Das Wort ist überall Neutrum; das heute in der Schriftsprache gebrauchte Wort „der Gau“ ist erst im 17. Jh. bezeugt und in Gegenden, wo das alte Wort veraltet war, von der Gelehrtensprache in Anlehnung an das Maskulinum pagus gebildet. Wo, wie in Schwaben, in der Schweiz und in Bayern das Wort bis in die Moderne im Volksgebrauch blieb, sagt man „das Gäu“. Daneben findet sich ein gleichbedeutendes Femininum ahd. gawa, gowa, gawia, gowia, sächs. gohe.

Die Etymologien *gawih, gaawia (von wih - 'Dorf'), *gawjo (zu anord. gjár - 'Kluft') sind nicht zufriedenstellend. Eher könnte das Wort „Gau“ eine Kollektivbildung von „Aue“ (ahd. ouwa, got. *awi = wasserdurchflossenes Land) sein [1]. Noch heute haftet in Schwaben der Name „Gäu“ an wasserdurchflossenen, waldarmen Gegenden [2]. Entscheidend ist, dass „Gau“ und „Aue“ tatsächlich in wechselnden Genera gebraucht werden; neben dem Rheingau, dem Maingau etc. gibt es die Logenau (Lahnau) oder die Mortenau, die auch vereinzelt Logengau, Mortengau genannt werden.

Als politischer Bezirk[]

Lange sah die herrschende Lehre im Gau einen politischen Bezirk, größer als die Hundertschaft und deshalb von manchen als Tausendschaft aufgefasst, und darauf konstruiert eine altgermanische Gauverfassung. Diese Gaue seien zu Grafschaften geworden, doch habe man seit dem Beginn der Karolingerzeit diese alten Gaugrafschaften vielfach geteilt, so dass manche Gaue mehrere Grafschaften umfassten. Zugegeben wurde, dass das Wort „Gau“ daneben auch zur Bezeichnung ganzer Provinzen oder kleinerer Bezirke verwendet wurde.

Gelegentlich bezeichnet das Wort Gau aber auch durchaus einen politischen Bezirk, ein Stammesgebiet (z.B. pagus Ribuarius), eine Grafschaft oder eine Hundertschaft, genau wie das Wort „Land“ (Hamaland etc.) und wie die von pagus (= Gau) gebildete französische Bezeichnung pays. Insbesondere im späteren Sachsen werden für die aus der Hundertschaft hervorgegangenen Gerichtsbezirke und Gerichte die Worte go, goscap, godink, gogreve ebenso gebraucht, wie man anderwärts im technischen Sinne von Land, Landschaft, Landgericht, Landrichter redet.

Gaue und Grafschaften[]

Krautmettli Gau, Macronix 2007-10-20

Gaunamen, die mit dem Suffix goive, gewe gebildet wurden, werden in vielen Hunderten von Urkunden zur näheren Bezeichnung der Lage eines Ortes erwähnt, und auch jene typischen Grafschaftsgaue, wie z.B. Neckargau, Nagoldgau, Kraichgau etc. sind nichts anderes als geographische Bezeichnungen.

Gewiss gehören nebeneinanderliegende Dörfer meist derselben Grafschaft und demselben Gau an, aber es ist bei näherer Prüfung völlig ausgeschlossen, die Grafschaftsgrenzen mit den Gaugrenzen (soweit man überhaupt von solchen sprechen kann) zu identifizieren.

In Menge gibt es Gaue, die in mehrere Grafschaften, und Grafschaften, die in mehrere Gaue hineinreichen. Nur ganz vereinzelt, wo sich zufällig eine Grafschaft mit einem derartigen Gau im Allgemeinen deckte, konnte der Gauname zum Grafschaftsnamen werden (ebenso wie z.B. die geographische Bezeichnung Rheinland zum Provinznamen wurde), und man sprach von einem comitatus Linzigauge (zuerst in spätkarolingischer Zeit und damals noch sehr selten).

Die gewöhnliche Formel, mit der in den Urkunden die Lage einer Ortschaft bezeichnet wird, ist: „Villa X in pago Y in comitatu Heinrici“: Gau und Grafschaft werden getrennt. Selbst die Stammesgrenzen decken sich nicht mit den Gaugrenzen; So geht z.B. durch das Hamaland an der Yssel und das Hessengau an der Fulda die alte fränkisch-sächsische Grenze hindurch.

Wechselnde Grenzen[]

Aus der rein geographischen Natur der Gaue erklärt sich auch das Schwanken ihrer Grenzen, so dass eine Ortschaft bald zu diesem, bald zu jenem Gau gerechnet wurde. Die vielen Dutzende von Fällen aus politischen Verschiebungen oder daraus, dass man das eine Gau als Untergau des anderen Gaus ansah, erklären zu wollen, ist schlechthin unmöglich. So erklärt sich, dass oft mehrere Gaunamen auftauchen, wo früher ein einziger war, und ebenso rasch wieder verschwinden, und dass ein Gauname mal ein größeres, mal ein kleineres Gebiet bezeichnen konnte.

Vor allem bestand die Neigung, ferner gelegene Gegenden nicht so wie die nächstgelegenen nach Gauen zu spezialisieren. Für die Urkunden des mittelrheinischen Klosters Lorsch gibt es z.B. in Schwaben einen riesigen pagus Alamannorum und einen pagus Neckergowe, der von Zainingen und Donnstetten auf der Rauhen Alb bis nach Öffingen und Zazenhausen dicht bei Ludwigsburg reicht, während die schwäbischen Urkunden den ersteren überhaupt nicht kennen und Neckargau nur das kleine Talgebiet am Fuße der Alb von Nürtingen und Kirchheim bis Esslingen nennen.

Die Versuche, auf Grund der Gaunamen die politische Einteilung Deutschlands zu ergründen, schlagen fehl; aber auch für die rein landschaftliche Einteilung lassen sich Resultate nur erzielen, wenn man die verschiedenen Quellenkomplexe streng voneinander sondert.

Gaunamen[]

Die Gaunamen selbst sind ebenso beweisend für die ursprüngliche Bedeutung der Gaue. Im Frühmittelalter beherrschten Recht und Verfassung das Volk und nicht das Land. Es herrschte das Prinzip der persönlichen Rechte, nicht das Territorialprinzip; es gab Stammesrechte, keine Landrechte, und die Herrscher nannten sich Rex Francorum oder Dux Alamannorum, nicht rex Franciae oder dux Alemanniae.

Dagegen waren die Gaunamen der ganz überwiegenden Mehrzahl nach nach dem Land gebildet, es waren rein geographische Bezeichnungen nach Flüssen (z.B. Maingau etc.), Gebirgen, Wäldern, Römerstädten oder auch nach Himmelsrichtungen. Vereinzelt kam auch, wo sich ein Gau mit einem alten Völkerschaftsgebiet deckte, ein Völkerschaftsname vor (z.B. Boroctra, Chattuarii etc.), bisweilen nur von einer längst ausgewanderten Völkerschaft hergeleitet (z.B. der Bardengau). Nie aber fand sich eine Bildung nach einem Personennamen, wie sie in den gentilizischen Hundertschaftsnamen die Regel bildete. Das gleiche galt auch für die mit -feld, -land, -au, -ciba oder -bant zusammengesetzten Gaunamen.

Baren[]

Eine scheinbare Ausnahme bildeten die Baren in Schwaben, die ausnahmslos nach dem Namen der früheren Grafen gebildet waren (z.B. Bertoldespara, Adalhartespara etc.). Aber bara bedeutet nicht „Gegend“, sondern „Gerichtsbezirk“ [3]. Die Baren waren nicht eigentliche Gaue, sondern nach ihrem Grafen benannte Grafschaften, und gerade ihre Benennung bildete einen scharfen Kontrast zu den Gaunamen.

Gau ungleich Pagus[]

Ebenso charakteristisch dafür, dass „Gau“ eine rein territoriale Bezeichnung war, ist, dass es nie auch das zum Gau gehörige Volk bezeichnete, wie es bei den Benennungen der politischen Bezirke (centena, comitatus, ducatus, etc.) der Fall war. Schon aus diesem Grund ist es ausgeschlossen, den römischen pagus bei Caesar und Tacitus mit „Gau“ zu übersetzen. Mit den Worten pagos centum Sueborum ad ripas Rheni consedisse kann Caesar (BG I, 37) wohl kaum gemeint haben, „dass die 100 "Gebiete" der Sueben an den Rheinufern Stellung bezogen hätten“ [4].

Der pagus der antiken Schriftsteller ist vielmehr die Hundertschaft. Dass ein halbes Jahrtausend später lateinisch schreibende Deutsche 'Gau' mit pagus wiedergaben, ist kein Grund, auch den Römern Tacitus und Caesar denselben Sprachgebrauch zuzuschreiben.

Quellen[]

Einzelnachweise[]

  1. A. Bürk, Zeitschrift für deutsche Wortforschung. Nr. 2, S. 341 f.
  2. vgl. Fischer, Schwäb. Wörterbuch. aaO. Bd. III, S. 93
  3. vgl. Fischer, Schwäb. Wörterbuch. aaO. Bd. I, S. 631; davon bargilden = Gerichtsgenossen
  4. Caesar, Gaius Iulius. De Bello Gallico (Wikibooks): Liber I - Kapitel V. Paralleltext Lateinisch–Deutsch auf Gottwein.de. Lib. I, 37 (dt.): „...dass die hundert Gaue der Sueben an den Rheinufern Stellung bezogen hätten...“