Mittelalter Wiki
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Die eigenständige germanische Geschichtsschreibung beginnt vor dem eigentlichen Mittelalter in der Spätantike / Völkerwanderungszeit (3./4. Jh.) und reicht in ihrer ersten Phase bis zum Ausgang der Merowingerzeit im Jahre 751.

Beschreibung[]

In der Spätantike stand die römische Geschichtsschreibung, die auf die germanische einwirkte, schon längst im Zeichen des Verfalls. Man begnügte sich vielfach mit Auszügen aus älteren Werken oder schuf kompendienartige Zusammenfassungen mit dem Hauptnachdruck auf die Chronologie, wofür die Chronik des Eusebius von Caesarea (ca. 260-340) in der Bearbeitung und Fortsetzung des Kirchenvaters Hieronymus (347-420) das maßgebende Vorbild wurde.

Die Zeitgeschichte wurde daneben in der Form von knappen annalistischen Vermerken aufgezeichnet, für die die Konsularfasten, später auch die Ostertafeln des römischen Staatskalenders ein geeignetes Schema boten. Dabei handelt es sich jedoch eher um Quellenrohstoff als um wirkliche historiographischen Leistungen. Wo man noch ausführlichere Geschichtsdarstellungen bot, waren sie durch schwülstige und gezierte Rhetorik stark getrübt, die den Inhalt immer mehr überwucherte.

Aber auch das Gegenstück dazu: die Erzählung der christlichen Legende, die einfach und für jedermann verständlich, und durch die biblischen Historien geschulte war, bildete sich bereits in der ausgehenden Antike aus. Vorbild dafür ist z.B. die "Vita Sancti Severini" [1], die Lebensbeschreibung des hl. Severin von Noricum († 482) von Eugippius (ca. 465-533), die für das Vordringen der Germanen in den nordalpinen Donauländern eine höchst wertvolle Quelle ist.

Alle diese Arten von Geschichtsschreibung finden sich ab der Spätantike in germanischen Staaten wieder, die auf dem Boden des römischen Reiches entstanden. Diese Werke waren zwar in Hinsicht auf Kritik und wissenschaftliche Genauigkeit stark getrübt, doch zeigt sich in ihnen als neuer germanischer Einfluss bald eine lebhafte Phantasie und eine durch die Heldenlieder befruchtete frische Erzählkunst.

Anfangs waren es noch fast ausschließlich Männer römischer Herkunft und römischer Schulbildung, die in diesen germanischen Ländern die Feder führten, aber je mehr nationale und konfessionelle Gegensätze verschwanden, um so weniger läßt sich unter den Historikern dieser Übergangszeiten eine wirkliche nationale Trennung vornehmen; auch die römischen Autoren gewannen als Angehörige der sich ausbildenden neuen Reiche bald einen immer tieferen Einblick in die Geschicke der Germanen und waren immer weniger "fremde Beobachter". Neben ihnen wuchs ebenso langsam die Zahl germanischer Historiker.

Ostgoten[]

Von den ostgotischen Werken gibt es während der Spätantike durchaus einige Fortsetzungen älterer Chroniken, wie z.B. derjenigen des Prosper Tiro von Aquitanien (um 390-455) und des Hydatius von Aquae Flaviae († um 469) aus dem 5. Jh. Allerdings sind diese Schriften eher wortkarg und im Stil von Annalen, und verdienen von daher zwar als Quelle Beachtung, sind jedoch nicht von historiographischem Wert. Ebenso verhält es sich bei den zusammengestoppelten Kompendien der römischen oder Weltgeschichte.

Ungemein wichtig dagegen, nicht nur für die gesamte Erforschung des germanischen Altertums, sondern auch als historiographische Leistungen, sind die Volksgeschichten der einzelnen Stämme. Hier gingen die Ostgoten voran, zuerst mit dem leider verlorenen Schriften des Ablabius (5./6. Jh.), und dann mit der zwischen 526 und 533 herausgegebenen Gotengeschichte (Historia Gothorum) von Cassiodor, die allerdings auch nur in der Bearbeitung und Fortführung des Jordanes erhalten ist (s. "Getica"). Mit ihm taucht bereits (551) der erste germanische Geschichtschreiber auf, der als oströmischer Untertan die kaiserlichen Interessen mit denen seines Volkes zu versöhnen versuchte. Doch begrub die völlige Vernichtung der Ostgoten kurz darauf solche Hoffnungen.

Langobarden[]

Die langobardischen Eroberer, die 568 in Italien einfielen und mit der Gründung ihres Langobardenreiches das Ende der Völkerwanderungszeit / der Spätantike und den Beginn des Frühmittelalters kennzeichneten, waren auch in ihrer Geschichtsschreibung aus anderem Holz als die Ostgoten geschnitzt. Sie wahrten ihre Historie und Sage in althergebrachter mündlicher Überlieferung. Eben dies und der Gegensatz zur römischen Geistlichkeit bedingte lange nur sehr spärliche Geschichtsaufzeichnungen.

Ein Geschichtswerk ("Historiola") des Abtes Secundus von Trient († 612) ging verloren und ist nur aus Auszügen in der "Historia Langobardorum" von Paulus Diaconus teilweise zu erschließen. Eine Bearbeitung und Fortsetzung der Chronik des Prosper Tiro von Aquitanien, die um 625-641 im Langobardenreich entstand ("Continuator Prosperi Havniensis" [2]), ist stofflich wertvoll. Eizigartig in der Überlieferung einer Volkssage ist der um 670 niedergeschriebene kurze Bericht über die Herkunft der Langobarden (Origo gentis Langobardorum [3]), der als Quelle für die Historia gentis Langobardorum von Paulus Diaconus (ca. 725-799) diente. Dieser eigentliche Geschichtschreiber der Langobarden tauchte allerdings erst kurz nach dem Untergang ihrer Selbständigkeit auf, so daß sein Werk bereits zur karolingischen Epoche gehört.

Westgoten[]

Sehr viel empfänglicher erschlossen sich die Westgoten in Spanien und Südfrankreich eine recht ausgeprägte Historiographie, die dort unter der noch immer reichen antiken Kultur und vorherrschender Beteiligung der römischen Provinzialen entstand. Die Anfänge bildeten hier die spätantiken Werke von Paulus Orosius (um 385-418), Prosper Tiro von Aquitanien (um 390-455) und des Hydatius von Aquae Flaviae († um 469), die jedoch nur stofflich in Beziehung zu den Westgoten stehen. Die Chronik des afrikanischen Bischofs Viktor von Tunnuna († ca. 570) wurde jedoch bereits von einem Westgoten, Johannes von Biclaro († ca. 620), bis 590 fortgesetzt. Die Bekehrung der Westgoten unter König Rekkared I. († 601) schloß den zwischen den Volksteilen des westgotischen Staatswesens klaffenden Riß. In den Jahren 612 bis 620 griff selbst ein König, Sisebut († 621), in katholischem Eifer zur Feder, um das Leben und den Märtyrertod des Bischofs Desiderius von Vienne († um 606) voll Abscheu gegen die fränkische Königin Brunichild (um 545-613) und ihren Enkel Theuderich II. zu erzählen. [4]

Aus dem Kreis der römischen Provinzialen gab Bischof Isidor von Sevilla (um 560-636) den Westgoten eine zwar knappe, aber zuverlässige Königsgeschichte, die bis 624 reichte, und die zugleich auch kurze Überblicke über die der Vandalen und Sueven gab ("Historia (de regibus) Gotorum, Vandalorum et Suevorum"). Doch das alles beherrschende theologische Interesse in Spanien drückte auch auf die Geschichtsschreibung, die sich nicht mehr recht fortentwickelte. Erst die außerordentlich lebhafte und zuverlässige Darstellung über den Heereszug des Königs Wamba († 681/683) gegen den aufständischen Herzog Paulus von 673 zeigte sich wieder in völlig antiker Art. Der begabte Verfasser war der spätere Bischof Julian von Toledo (um 652-690). [5]. Eine Generation später brach das Westgotenreich zusammen.

Franken (Merowingerzeit)[]

Bei den Franken des Merowingerreiches erfolgte die eigene Geschichtsschreibung bereits früher als bei den Westgoten und mit einem viel stärkeren Einschlag der germanischen Erzählkunst. Dazu trugen entscheidend bei: Die sofortige Annahme des katholischen Glaubens, die völlige staatliche Einordnung der Provinzialen und die stetige Berührung mit der germanischen Heimat. Der Mann, der beherrschend am Anfang der merowingischen Geschichtsschreibung steht, ist Bischof Gregor von Tours (538-594). Seine Frankengeschichte (Historia Francorum) bis 591 ist nicht nur die farbenfroheste und stoffreichste Geschichtsdarstellung des gesamten germanischen Altertums, sondern besitzt durch die Übertragung des alttestamentlichen Stils auf die Historie auch Vorbildfunktion für das Mittelalter.

Ein Zeitgenosse, der Bischof Marius von Avenches (530-594), setzte in den Jahren von 574 bis 594 das bis 452 reichende Chronicon imperiale bis zu seiner Zeit fort [6], doch trat er neben Gregor von Tours sehr in den Hintergrund. Seine kurzen Annaleneinträge, besonders über burgundische Ereignisse, zeichnen sich durch ihre Genauigkeit aus und werden in einem Anhang noch bis 624 fortgeführt.[7]

Für die Gesamtanschauung der merowingischen Historiographie sind auch die Untersuchungen über den sog. Fredegar wichtig. Auch wenn diesen Aufzeichnungen so manche Mängel anhaften, so wurde doch damit der Weg zu den offiziellen Reichsannalen der Karolinger gewiesen. Um 727 entstand auch in Neustrien eine ähnliche Arbeit, die "Taten der Frankenkönige" oder richtiger das "Buch der Geschichte der Franken" ("Liber historiae Francorum"). [8] In Austrasien wurde man bald auf das Werk aufmerksam, bearbeitete es und gab ihm 736 eine Fortsetzung. Eine eigene Geschichtsaufzeichnung erfolgte jedoch erst unter karolingischer Einwirkung.

Heiligenleben (Merowingerzeit)[]

Während der Merowingerzeit starben die antiken Überlieferungen im Frankenreich langsam und eine neue germanisch-romanische Bildung keimte langsam auf. Hinzu kamen die politischen Wirren und ethische Erscheinungen. Immer mehr wurde auch der Säkularklerus in das weltliche Getriebe hineingezogen, wodurch die literarischen Tätigkeit sank. Schreiber zogen sich in Klöster zurück; weltliche und geistliche Staatsmänner begaben sich freiwillig oder gezwungenermaßen dorthin, und es begegneten sich wohl alte Gegner, wie der fränkischer Hausmeier Ebroin († 681) und Leodegar von Autun (um 616-679) in Luxeuil.

Noch aber war das eigentlich historiographische Interesse in den Klöstern sehr gering; doch um so größer der Wunsch, das Ansehen ihrer Stifter und Heiligen durch Aufzeichnung ihres Lebens oder ihrer Passion zu steigern und dadurch auch die Reliquienverehrung am Ort zu heben. Diesem Streben verdanken wir die meisten Beschreibungen der Heiligenleben (vitae) der Merowingerzeit. Zur Historiographie im engeren Sinne gehören diese Heiligenleben zwar nicht, denn nicht Wahrheitssinn, sondern der Erbauungszweck diktierte sie; ein feststehendes Schema und Übernahme aus älteren Vorlagen ersetzen oft die mangelnde Kenntnis. Aber wo die "Helden" mit dem weltlichen Leben oder gar als Staatsmänner, in Berührung kamen ist, und der Autor noch ihn selbst oder seine vertrauten Schüler und Freunde kannte, da kommt doch mitunter die Heiligenvita der weltlichen Biographie nahe, wenn auch in der Merowingerzeit noch nicht so nahe, wie in späteren Epochen... Weiterlesen.

Zusammenfassung[]

Neben den wenigen hier genannten Schriften, die historiographisch bedeutsamer waren als andere und frühzeitig niedergeschrieben wurden, gibt es eine große Zahl weiterer merowingischer Heiligenleben. Einige, wie z.B. die Viten von St. Gallus (um 550-650; Vita vetustissima Sancti Galli) und St. Amand von Maastricht (um 575-676) wurden auch erst später abgefaßt und sind in der ältesten Form deshalb bereits der Karolingerzeit zuzuweisen

Insgesamt läßt die doch recht ausgedehnte hagiographische Schriftstellerei die literarische Tätigkeit im Merowingerreich (5. Jh. - 751), im Vergleich mit den anderen germanischen Reichen der Zeit, doch nicht so armselig erscheinen. Zugleich wurde dadurch allmählich eine gewisse Technik der Lebensbeschreibung vorgebildet, wenn auch zunächst nur im hagiographischen Stil, die in der karolingischen Epoche jedoch ebenso der weltlichen Biographie zugute kam... → Fortsetzung in: Geschichtsschreibung der Karolingerzeit.

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Quellen[]

Einzelnachweise[]

  1. MGH. Auct. ant. 1,2: Eugippii Vita sancti Severini. Hermann Sauppe (Hrsg.). Berlin, 1877. (Digitalisat)
  2. MGH. Auct. ant. IX, S. 266 ff.
  3. MGH. SS rer. Lang., 2 ff. Übersetzung: Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit 215, 1888
  4. MGH. SS rer. Merov., III 620 ff.
  5. Historia Wambae regis in MGH. SS rer. Merov. V 486 ff.
  6. MGH. Auct. ant. XI 225 ff. (Digitalisat).
  7. MGH. Auct. ant. XI 489 ff.
  8. MGH. SS rer. Merov.. II 215 ff,; teilw. übersetzt: Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit. 92, 282 ff. u. 113, 61 ff.
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