Mittelalter Wiki
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Die Gotische Minuskel oder auch Psalterschrift (scriptura psalterialis), ist eine Entwicklungsstufe der Deutschen Schrift. Sie entwickelte sich mit der Kunstepoche der Gotik aus der fränkischen Minuskel und wurde vom Hochmittelalter bis in die Renaissance für Schriften und Inschriften verwendet.

Beschreibung[]

  • Frühgotische Minuskel (ab Ende 11. bis 13. Jh.)
  • Hochgotische Minuskel (14. Jh.)
  • Spätgotische Minuskel (16. Jh.)

Die Gotische Minuskel erhielt ihre Bezeichnung wegen der Wechselbeziehung zu den allgemeinen Kunstformen der Gotik (1130-1500). Der Züricher Konrad von Mure prägte auf diese in der zweiten Hälfte des 13. Jhs. die vielleicht beste Benennung: scriptura psalterialis („Psalterschrift“). Missale und Chorbücher wurden regelmäßig in der Gotische Minuskel geschrieben, daneben Zier- und Prunkhandschriften; unter den mittelhochdeutschen weist z.B. die Jenaer Liederhandschrift (14. Jh.) [1] diese Schrift auf. [2]

Frühgotische Minuskel[]

  • Frühgotische Minuskel (ab Ende 11. bis 13. Jh.)
Frühgotische Minuskel Diphthonge RdgA Bd1, Taf.026, Abb

Kaiserchronik (Kloster Voran): Frühgotische Minuskel mit übergeschriebenen Diphthongbezeichnungen (12. Jh.)

Die fränkische Minuskel wurde seit dem Ende des 11. Jhs., wie alle Kunstformen dieser Zeit, bewusst künstlerisch ausgestaltet. Die immer weiter fortgesetzte Schaftbrechung führte zu jener aus Spitzen und Ecken zusammengesetzten gitterartigen Schrift, die wir als die Gotische Minuskel bezeichnen.

Schon zu Beginn der gotisierten Minuskel wurden bestimmte Unterscheidungszeichen verwendet. Solche wurden z.B. seit dem 12. Jhd. in unteritalischen Fürstenurkunden und schon regelmäßig gegen Ausgang des 11. Jhs. in der Form von Strichen über dem Doppel-i angebracht, seit etwa 1200 auch schon über dem einfachen "í".

Gotische Kursive[]

Die stark verkünstelte und in der Gestaltung der Buchstaben mühsam und umständlich gewordene Minuskel aber war für die Zwecke allgemeinen Bedarfs nicht zu gebrauchen. Daher zweigte sich zu Beginn des 13. Jhs., genau zu der Zeit, da der Gotisierungsprozess der Minuskel deutlich in Erscheinung tritt, eine neue Kursive ab, die an Stelle der Brechung und Abeckung einfache gerade Striche setzte und wieder auf möglichste Verbindung der Buchstaben bedacht war: die Gotische Kursive. Sie wurde die Schrift der Konzepte, Register, Rechenbücher und dgl., aber auch zu literarischen Aufzeichnungen dann gebraucht, wenn das Bestreben nach rascher Niederschrift im Vordergrund stand.

Gotische Minuskel RdgA Bd1, Taf.027, Abb

Hochgotische Minuskel-Kursive-Mischung mit Schleifen der Ober- und Unterlängen (Nibelungenlied, Anfang 15. Jh.)

Wie im Schriftwesen des Frühmittelalters bildeten sich auch nun zahlreiche Mischformen zwischen den beiden Extremen aus. Diese jedoch im einzelnen in ein bestimmtes System zu bringen, ist kaum möglich; man kann höchstens danach unterscheiden, ob der Grundcharakter der Minuskel oder der Kursive überwiegt.

Von den deutschen literarischen Texten ist nur eine Minderzahl in der anspruchsvollen „Psalterschrift" der Jenaer Liederhandschrift (14. Jh.)oder des Dresdner Sachsenspiegels (um 1295-1363) geschrieben. [3] Die überwiegende Mehrzahl bewegt sich in den Übergangsformen der schlichteren Minuskel.

Der Gotisierungsprozess der Minuskel nahm seinerzeit weder von Deutschland seinen Ausgang, noch erfuhr sie hier ihre schärfste Durchbildung. Entscheidend aber wurde das zähe Festhalten über das 15. Jh. hinaus. In ihrer steten Übung und Weiterbildung wurde so die gotische Kursive so zur Deutschen Schrift.

Hochgotische Minuskel[]

  • Hochgotische Minuskel (14. Jh.)
Gotische Minuskel RdgA Bd1, Taf.027, Abb

Hochgotische Minuskel mit doppelter Bauchung des a (Nibelungenlied, 14. Jh.)

Die Umformung einzelner Buchstaben durch die Gotische Kursive machte sich auch in solchen Texten geltend, die nicht kursiv, d.h. im Bestreben nach Verbindung der Buchstaben geschrieben sind. So erhielten b, d, h, l, p mehr und mehr die Schleifen der Ober- und Unterlängen und damit die für die Folgezeit entscheidende Umgestaltung.

Für das 14. Jhd. charakteristisch ist die doppelte Bauchung des a. Zu selbständigem Gebrauch wird jetzt auch die Nebenform des halben γ angewendet, die in der lateinischen Schrift durch viele Jahrhunderte nur für die Ligatur or gebraucht wurde.

Die ursprünglich scharfen Unterschiede der einfachen Mittellängen i, u, n, m wurden durch die Abeckung und Gitterung der gotischen Schrift wie durch die Striche der Kursive, die alle Unterschiede aufhoben, immer stärker verwischt. Daher stellte sich genau zu der Zeit, da der Gotisierungsprozess stärker in Erscheinung trat, die Notwendigkeit bestimmter Unterscheidungszeichen heraus. So trat dann Mitte des 14. Jhds. neben den noch lange beibehaltenen í-Strichen zuerst der uns geläufige i-Punkt auf. Beim u tritt aus denselben Gründen ebenfalls seit dem 12. Jhd. erst vereinzelt und bald häufiger die v-Form ein, später auch w, das gerade in deutschen Texten vielfache Anwendung findet.

Spätgotische Minuskel[]

  • Spätgotische Minuskel (15./16. Jh.)

Im 15. Jhd. treten dann die Unterscheidungszeichen des u hinzu. Bei u und o nimmt das übergeschriebene e in der Vereinfachung der Kursive in der Form zweier schräg übereinandergestellter Striche (ű und ő) die Gestalt an, die zu den modernen Umlautformen ü und ö führt.

Eine Besonderheit deutscher Texte des Spätmittelalters bildet die Konsonantenhäufung. Es handelt sich hierbei nicht um aus Schreiberwillkür entstandene Äußerlichkeiten, sondern um einen inneren Entwicklungsprozess der Sprache. Und mögen Formen wie vnntzt, lanngkh, tennckh seytten (linke Seite) unserem Auge missfällig erscheinen, so sind sie doch ebenso als Sprachdenkmäler zu werten. Anders steht es mit der Verdoppelung der anlautenden Konsonanten. Der Zweck war hier eine eigentümliche Art von Initialenornamentik, die graphische Hervorhebung der Initialen.

Gotische Majuskel[]

Die Gotische Majuskel war eine rein epigraphische Schrift des 13. bis 14. Jhs. Ihr stehen auf Inschriften frühgotische (Ende des 11. bis 13. Jh.), hochgotische (14. Jh.) und spätgotische (16. Jh.) Minuskeln gegenüber. [4] Die zum Ausgang des Mittelalters hin immer häufiger verwendeten Majuskelbuchstaben erfuhren durch Gotik und Gotische Kursive eine besonders starke Umgestaltung. [5]

Es ist gerade hier oft nicht leicht, aus dem Beiwerk von Zierstrichen und Schnörkeln die entscheidende Grundform herauszuschälen. Eine solche Gruppe sind C, 𐌴, G, 𐍄. Bei C ist entscheidend der reine Halbbogen, bei 𐌴 der unerläßliche Mittelstrich, die „Zunge", bei G die Fortsetzung nach rechts oben, bei 𐍄 die Überdachung. B und R sind durch gleichartige Zierformen so nahegerückt, dass Verlesungen häufigst vorkommen. Entscheidend ist hier wieder bei B die trotz allem Beiwerk zum Hauptschaft zurückkehrende Bauchung, bei R der nach rechts auswärts strebende Arm.

Das unziale M hat gotische Spitzbogen erhalten und wird weiter noch durch Verkümmerung des ersten und übermäßig große Gestaltung des zweiten Bogens umgestaltet. Zu Verwechslungen geben auch N und H Anlass. Schon in der karolingischen Majuskel verband der Mittelstrich des N nicht mehr die Enden, sondern die Mitte der Hauptschäfte; dieser Mittelstrich legt sich später ganz horizontal und gibt dem N die Gestalt des kapitalen H, so dass dieses geradezu das Feld räumte und sich in der Gestalt des unzialen H (𐌷) weiterentwickelte.

Übergang zur Renaissanceminuskel[]

Im Ankämpfen gegen die verkünstelte gothische Schrift wie andererseits gegen die Unschönheit der sorglosen Gotischen Kursive wurde im Kreise der Florentiner Humanisten zu Beginn des 15. Jhds. der Grund zu einer neuen Schriftreform gelegt. Man griff als Vorbild auf die schöne, regelmäßige Minuskel des 11. oder spätestens aus dem Beginn des 12. Jhs. zurück, beseitigte die Brechungen und Ecken und setzte an deren Stelle die ursprünglichen Grundformen wieder ein. Man dämmte das Übermaß der starken und zahlreichen Kürzungen auf eine geringe Zahl der einfachsten und gebräuchlichsten ein und säuberte die Orthographie und Interpunktion. So entstand die sog. Renaissanceminuskel oder Humanistenschrift.

Quellen[]

  • Deutsche Schrifttafeln des IX. bis XVI. Jhds. (Digitalisat UB Düsseldorf) aus Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München (V. Abteilung): Deutsche Schrifttafeln aus Papierhandschriften des XIV. bis XVI. Jahrhunderts. Hrsg. Erich Petzet, Otto Glauning. Mit einem Anhang: Gesamtverzeichnisse für Band I-V, Leipzig 1930, Taf. LI (mit Abdruck von Bl. 205v-206r)
  • Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 1. Auflage, 4 Bände. Johannes Hoops. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. I, S. 395 ff.

Einzelnachweise[]

  1. Jenaer Liederhandschrift (14. Jh.) in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB). Signatur: Ms. El. f. 101.
  2. Meyer, Wilhelm. Die Buchstaben Verbindungen der sog. gothischen Schrift, Gott. gel. Abhandlung. N. F. I. Bd, 1897.
  3. Dresdner Sachsenspiegel (Mscr.Dresd.M.32). Eike von Repgows. Original in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden.
  4. Wikipedia: Majuskelschrift
  5. Vornholt, Die Initialen und Großbuchstaben der lateinischen Buchschrift in ihrer Entwicklung bis zur Frakturschrift. Greifswalder Dissertation, 1907.
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