Heldenlieder zählen zur Kunstmäßigen Einzellyrik als Gattung der altgermanischen Dichtkunst. Das Merkmal solcher Epischen Dichtungen ist, dass darin die Taten eines Helden besungen werden.
Beschreibung[]
Heldenlieder sind sowohl im süd- als auch nordgermanischen gleichermaßen bewahrt. Die nordische Heldendichtung hat sich dabei in viele Kunstformen verästelt. Der älteste, gemeingermanische Typus ist ein Gedicht von ca. 80-300 Langzeilen, das in seinem unmittelbaren Verlauf eine 'Heldensage' als gegenwartentrückte heroische Fabe führt.
Entstehung[]
Die Entstehung des germanischen Heldenliedes ist nicht gänzlich geklärt. Erwägt man, dass es keine primitive, sondern eine verhältnismäßig hochstehende Kunstform ist, dass die Zeugnisse mit Jordanes beginnen und dass die historischen Sagennamen bis ins 4. Jhd. zurück weisen, so kann man schlußfolgern: die Heldendichtung war eine der Neuerungen der Völkerwanderungszeit.
Der Ausgangspunkt muß bei einem Volk zu suchen sein, und da kann die Wahl nur auf die Goten fallen. Das Heldenlied tritt dann in eine Reihe mit der Runenschrift und den kunstgewerblichen Formen, die aus dem pontischen Gotenreich im 3. und 4. Jhd. zu den anderen Germanen zogen. Ein fremdes Vorbild, wie für die Runen und die Fibeln, kann man für das Heldenlied nicht nennen. Byzanz und Rom hatten nichts Ähnliches. Von der armenischen Heldendichtung ist zu wenig bewahrt, als dass ihre Einwirkung auf die gotische abzuschätzen wäre. Einer der wenigen denkbaren Einflussfaktoren kann jedoch, abgesehen von der allgemeinen Steigerung des Lebensgefühls, die Bekanntschaft mit dem Mimus im Theater der römischen Antike gewesen sein.
Als germanische Vorstufe des Heldenliedes kann man das Preislied bzw. Zeitgedicht ansehen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass das Heldenlied daraus organisch gewachsen ist, durch Eindringen von Übernatürlichem, Idealisierung oder dramatischer Durchformung. Es ist kein Fall bekannt, wo ein Zeitgedicht allmählich zum Heldenlied geworden wäre, weder bei den überlieferten süd- noch den nordgermanischen Originalen. Nur wo man es mit lückenhaften Anspielungen oder schlichten Chronistenumschriften zu tun hat, da fühlt man sich wohl einmal in der Schwebe zwischen den beiden Gattungen der Dichtkunst.
Zu den stofflichen Quellen des Heldenliedes gehörte gewiß aber auch das Zeitgedicht, und dessen Sprach- und Verskunst ging an die jüngere Gattung über: Insbesondere die 'hymnischen' Stilfiguren (s. Hymnus), die ihre Wiege im Preislied haben, können zumeist im Predigtstil auf Buchepen, wie den Heliand, eingewirkt haben. Dennoch, die Kluft zwischen den beiden Kunstformen erscheint zu breit für ein unmerkliches Hinüberwachsen vom Loblied zum Heldengedicht, phylogenetisch wie ontogenetisch.
Verfasser[]
Allerdings waren es durchaus dieselben Dichter für Loblieder als auch Heldenlieder; das zeigen besonders klar das Beowulfepos und der Widsith. Zuerst an den Höfen als Dichtung für das Kriegergefolge des Fürsten gepflegt, hat sich das Heldenlied oft auch zum Gelage eines behäbigen Großbauers ausgedehnt. Seine Ideale eines ganzen waffenführenden Volkes waren jedem verständlich; und für eine Standespoesie wie die spätere ritterliche waren die Kulturbedingungen noch gar nicht vorhanden.
So stammt auch die reichste Überlieferung von Heldenpoesie aus dem adel- und fürstenlosen Island. In der ganzen altnordischen Zeit (9. bis 13. Jhd.) hat das Heldenlied keine erkennbaren Beziehungen zum Fürstenhof: das Preislied ist das Schoßkind der Hofkreise, ein einziges Mal ertönt ein eddisches Heldengedicht in der Nähe des Königs (die Biarkamál, Heimskringla 2, 463). Im Allgemeinen wurde es höchstwahrscheinlich bei den isländischen Landwirten gepflegt, beim freien Volk, und die Verbauerung wird auch ab und an spürbar.
In Deutschland und wohl auch England wich das Heldenlied an den Höfen den kirchlichen, buchmäßigen Unterhaltungen (s. Einhard, Vita Karoli Magni c. 24, Alkuin) oder auch den Jongleurspäßen; es sank zu einem niederen Publikum herab, hallte aber auch in Klöster herein (Eckehards Waltharius, Widukind u.a.) und reichte im 12. / 13 Jhd. den Stoff als Grundlage für mehr oder weniger ritterliche Buchepen (vgl. Dichter).
Typischer Aufbau[]
Die Erzähl- und Redeverse sind beim ältesten Typus von Heldenliedern annähernd gleich stark vertreten ('doppelseitiges Ereignislied'), die Handlung wird einheitlich, bis zum Schluß der Fabel geführt. Bisweilen setzt sie jedoch mitten in der Verwicklung ein, mit raschem Szenenwechsel, und ohne Zustandsmalerei oder beschauliche Reden. Die Zahl der Auftritte schwankt zwischen einem und etwa 12, die der handelnden Personen bewegt sich zwischen 2 und etwa 10.
Die Haltung der Dichtung ist im Ganzen als episch-dramatisch zu bezeichnen; lyrische Ausbrüche ordnen sich unter (s. Finnsburgh, Atlakvidha). Das Heldenlied ist jedoch keine Dichtung zum Lob der Ahnen und des Stammes. Dem Preis- oder Zeitgedicht gegenüber ist es der kunstvollere, reichere, bewegtere und gegliedertere Organismus. Eine Stegreifdichtung war hier immer nur zu gelegentlicher Lückenbüßung möglich; die Wandlung der Texte war weniger ein mechanisches Zersingen als ein bewußtes Umdichten.
Beispiele hierfür sind z.B. der Vergleich vom Hildebrandslied des 8. Jhds. zur Version des 14. Jhs., und vom ursprünglichen alten Atlilied (Atlakvidha) zum grönländischen Altlamal (jüngeres AtliLied). Die Ausdrücke 'Ballade' und 'Rhapsodie' füür Heldenlieder sind dabei eher irreführend. Das "Heldenlied" ist der gegebene term. techn, für das gesungene wie das unsangbare Werk. Der westnordische Name war kviða; ein südgermanischer Sondername ist nicht bekannt.
Beispiele[]
Beispiele für altgermanische Heldenlieder sind:
- Hildebrandslied - Das einzige erhaltene altgermanische Heldenlied aus einer Handschrift des 8. oder 9. Jhs.
- Völundarkvidha - Das Lied / die Sage von Wieland dem Schmied
- Waltharilied - (Waltharius). Die Sage von Walther und Hildegund
Weitere literarische Zeugnisse für das Heldenlied bis ca. 800 sind ebenso:
- 1. Jordanes (c. 5) und mehrere Helden des 4. Jhds., darunter Widigoia, der Witege der Heldendichtung.
- 2. Beowulf (V. 875 ff.): der Hofdichter läßt dem Preisliede auf Beowulf ein Heldenlied von Sigemund folgen.
- 3. Beowulf (V. 1064 ff.) derselbe Sänger (scop) singt vor Healfdenes Sohn zur Harfe das Heldenlied von Hengest-Finn. [1]
- 4. Alkuin (a. 797) wünscht, dass beim Mahle der Priester in Nordengland der Vorleser gehört werde, nicht der Harfner, und berichtet von Hinieldus (= dem Helden der Ingeldsage).
- 5. Vita Liudgeri (c. 790): Aussage über den blinden Friesen Bernlef, der von seinen Nachbarn sehr geliebt wurde, weil er freundlich war, und auch die Kämpfe und Taten der alten Könige zu besingen wusste.
- 6. Einhard (Vita Car. c. 29): Eine Stelle zwischen dem Aufzeichnen der Volksrechte und der grammatica patrii sermonis, die sich auf die deutsche Gedichte beziehen. Das dort erwähnte 'antiquissima... veterum regum' spricht für Heldenlieder, nicht Zeitgedichte.
Spätere literarische Quellen bezeugen das Fortleben kurzer, sangbarer Heldenlieder in der endreimenden Zeit.
Problematiken[]
Von den Beispielen, die man für Heldenlieder früher häufig anführte, muss man jedoch durchaus vorsichtig sein, da mehrere eher einer anderen Gattungen der Dichtkunst angehören. Das Lied zur Harfe z.B. ist durchaus nicht ohne weiteres ein Heldenlied. Zweifelhafte Beispiele, wo nicht eindeutig ist, ob sie eher den Lobliedern oder doch den Heldenlieder zuzuordnen sind, sind die folgenden Aussagen in alten Quellen:
- Apollinaris Sidonius (Ep. I, 2): "der Westgotenkönig in Tolosa liebt an seiner Tafel nur die Gesänge" (lat. "quibus non minus mulcet virtus animum quam cantus auditum." )
- Widsith (V. 103 ff.): "Als Shilling und Ich mit reinen Stimmen vor unserem königlichen Herrn anhoben zum Lied, as laut zur geschlagenen Melodie der Harfe..."
- Beowulf (V. 496): "Es scholl aus des Sängers Mund ein Lied" [1]
Sangbarkeit und Metrik[]
Schwierige Fragen knüpfen sich an die Sangbarkeit und die metrische Periodenbildung des Heldenliedes. Man unterscheidet zwar z.B. Die Edda und das Hildebrandslied mit den Schlagworten 'strophisch' und 'stichisch', aber damit drückt man die Eigenschaften, auf die es ankommt, nicht aus.
Strophische Beispiele[]
Die eddischen Stücke sind 'strophisch', genauer: Die stärkeren syntaktischen Einschnitte fallen in der Regel an das Ende der Langzeilen ('Zeilenstil'); über ein Langzeilenpaar (eine 'Halbstrophe') greift der Satz äußerst selten hinaus. Die verhältnismäßig abgeschlossenen sprachlichen Einheiten sind also teils die Langzeile, teils das Langzeilenpaar. Die größeren Gruppen bewegen sich zwischen 3 und 7 Langzeilen, planmäßig tritt einzig die 30 von 4 Langzeilen auf, die sog. Strophe: doch hat sie nur selten den syntaktischen und akustischen Zusammenhalt, der das Langzeilenpaar immer wieder vor dem Hörer auszeichnet.
Wurde eine derartige Poesie also gesungen, so konnte die Melodie (die widerkehrende melodische Phrase) entweder eine Langzeile oder ein Langzeilenpaar umfassen. Über den Vortrag eddischer Heldenlieder haben wir nur ein Zeugnis, die Heimskringla (2, 463): hier sieht die Situation mehr nach Singen aus; aber da der gewöhnliche Skaldenvortrag oftmals unsanglich war, so wurden auch die Gedichte normalerweise gesprochen. Periodenbau und Taktfüllung würden sich mit Gesang gut vertragen; einige Stücke (außerhalb der doppelseitigen Ereignislieder) sind sogar in hohem Grade sangbar.
Stichische Beispiele[]
Die südgermanischen Vertreter, das Hildebrandslied und Finnsburgh, sind 'stichisch', genauer: sie legen so oft die stärkere Satzgrenze an den Schluss der ungeraden Kurzverse ('Hakenstil') und bringen so selten syntaktische Einheiten von zwei Langzeilen, dass keine Melodie zum Text passen würde. Diese Gedichte sind innerlich unsangbar, was sich auch an den überlangen Auftakten zeigt. Nun gibt es klare Zeugnisse wonach südgermanische Heldenlieder zur Harfe gesungen wurden.
Diesen Umstand hat man mit der sprachlich-metrischen Unsangbarkeit der zwei erhaltenen Texte so zu vereinen gesucht, dass man nicht Gesang, sondern Sprechvortrag zur Harfe annahm, also ein „Melodram“. Dabei setzte man eine Harfenbegleitung von akkordischen Griffen voraus. Dies ist aber ein Anachronismus: die Begleitung kann nur eine einstimmige Melodie gewesen sein. Mit einer solchen verträgt sich aber nur ein (homophones) Singen, jedoch keine Rezitation in Sprechstimme. Der Widerspruch zwischen der Unsangbarkeit der zwei Denkmäler und dem harfebegleiteten Gesang in den literarischen Zeugnissen erklärt sich nur so: diese Zeugnisse meinen keine Stücke wie das Hildebrandslied und Finnsburgh, sondern Lieder von anderem, sangbarem Versbau. Es können Lieder von der Art der Edda gewesen sein.
Hakenstil[]
Die metrisch-sprachliche Struktur der Edda-Lieder ist dabei die genetische: der beginnende 'Hakenstil' im Hildebrandslied und Finnsburgh ist ein Übergang zu der Sprengung der Langzeile und rhythmischen Verselbständigung des Kurzverses im Heliandepos. Der Heliand und die Edda bilden die beiden Endpunkte der Entwicklung. Man steht also vor dem Schluss: Der ältere, innerlich sangbare Periodenbau ist auch für das Heldenlied der Südgermanen bezeugt; die zwei erhaltenen Reste stehen auf einer jüngeren Stilstufe.
Diese wäre man versucht erst aus Nachahmung des Buchepos zu erklären, wenn man dem Hildebrandslied Berührung mit Buchepen zutrauen dürfte; der Hakenstil wäre dann die Erfindung der Buchepiker, die ihren Dauervortrag damit beleben wollten. Möglich aber ist auch, dass die Heldenlieder den Anfang machten: man gab irgendwo einmal den musikalischen Vortrag auf und benutzte dann die Gelegenheit zu frei wechselnder Periodenbildung; das Buchepos führte danach diese Freiheit weiter zu mehr oder minder vorherrschendem 'Hakenstil'. Dass im 8. Jhd. die westgermanischen Heldenlieder unsangbar gewesen wären, ist im Hinblick auf die spätere Entwicklung unwahrscheinlich.
Wie dem auch sei, dem Heldenlied der Goten und überhaupt des germanischen Heldenalters hat man jenen älteren, sangbaren Bau zuzuschreiben, und der ist in der eddischen Heldendichtung kaum bewahrt. Die Annahme, die Nordeuropäer erst hätten aus anderen Dichtarten (Preislied usw.) die sangbare Periodenbildung in das hakenstilige Heldenlied eingeführt, ist künstlich. Ein so durchdringender Einfluß der Skaldendichtung auf die Heldenpoesie fand nicht einmal in den späteren Zeiten statt, und dass man die südgermanischen Heldenlieder formal so gründlich umgedichtet hätte, ist wenig wahrscheinlich. Wann und unter welchen Einflüssen die sog. Strophe von vier Langzeilen sich durchsetzte, diese Frage tritt an Bedeutung zurück; denn die stärkeren Realitäten waren: die Langzeile und Langzeilenpaar.
Sehr erwägenswert ist es, dass das älteste germanische Heldenlied die syntaktische Geschlossenheit der Langzeile noch strenger wahrte (so wie es gerade in einigen altertümlichen Eddastücken mehr oder weniger zusammenhängend vorliegt); dass es seine Sätze in Langzeilen, nicht in Langzeilenpaaren dachte: dann war es 'stichische' Dichtung, nur in völlig anderem Sinne als die westgermanische Literatur. Dann konnte die Melodie eine Langzeile umspannen. Berücksichtigen wir die stilistisch-metrische Gesamterscheinung, so gewähren das Bruchstück der alten Sigurdarkvidha, Teile des Wielandsliedes und der Hunnenschlacht die getreueste Form des altgermanischen Heldenliedes. [2]
Quellen[]
- Geschichte der deutschen Literatur: ein Handbuch (Google Books). Wilhelm Wackernagel. 2. Ausgabe. Schweighauserische Verlagsbuchhandlung, 1879
- Geschichte der deutschen Litteratur bis zum Ausgange des Mittelalters (Internet Archive). Rudolf Kögel. Strassberg : Trübner, 1894. S. 97.
- Geschichte der altenglischen Literatur (Internet Archive). Brandl. Strassburg, K. J. Trübner, 1908. Bd. II, S. 941 ff.
- Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 4 Bände (1. Aufl.). Johannes Hoops. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. I, S. 455 ff. (Art. Dichtung §. 7G)
Einzelnachweise[]
- ↑ 1,0 1,1 Beowulf: Originaltext mit deutscher Übersetzung und Anmerkungen
- ↑ Beiträge zur Eddaforschung: mit Exkursen zur Heldensage (Google Books). Gustav Neckel. F. W. Ruhfus, 1908