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Der Heliand (asächs. für 'Heiland'), auch „Altsächsische Genesis“ genannt, ist eine epische Dichtung aus dem 9. Jh. Diese Evangelienharmonie ist das umfangreichste und bedeutendste Denkmal in altsächsischer Sprache, daher wichtig für die Kenntnis der altniederdeutschen Mundart und der altdeutschen Dichtung überhaupt.
Beschreibung[]
Als Evangelienharmonie hat das Heliandepos den Zweck, die Berichte der vier Evangelien in ein zusammenhängendes Ganze zu bringen. Es behandelt die Geschichte und das Wirken Christi für die Menschheit, von seiner Geburt bis zur Himmelfahrt, gemäß der Evangelienharmonie des Ammonius Tatianus (um 170) und anderer theologischer Quellen.
Ähnlich einem Heldenepos schildert der Verfasser das Verhältnis des Heliands zu seinen Jüngern, wie das des Fürsten zu seinen Gefolgsleuten; die Jünger sind des Heilands „snelle degene“. Auch sonst versetzt der Dichter einzelne Motive und Gegenstände, welche den Sachsen im biblischen Ausdruck unverständlich gewesen wären, in das Licht seiner gegenwärtigen Zustände und Verhältnisse.
Anderseits vermeidet er aber Themen, die die Sachsen als seine Landsleute unangenehm berührt hätten oder ihnen lächerlich erschienen wären. So verschweigt er z.B. die Beschneidung Christi und übergeht, dass Christus auf einem Esel in Jerusalem eingeritten sei.
Vorrede des Flacius Illyricus[]
Gemäß einer alten Vorrede (Praefatio) von Flacius Illyricus (1520–1575), die jedoch verloren ging, wurde das Heliandepos im Auftrag Ludwigs des Frommen (778-840) von einem sächsischen Sänger in altvolkstümlicher Weise verfasst. Der unbenannte Dichter lebte, nach der Sprache zu urteilen, in Westfalen in der Gegend um Münster, Essen und Cleve.
Diese frühneuzeitliche "Praefatio in liberum antiquum lingua saxonica conscriptum" des Flacius Illyricus mit den Notizen über die Herkunft des Dichters, steht dem altsächsischen Gedicht nicht als Vorwort voran, sondern war in dessen Werk "Catalogus testium veritatis" enthalten, das 1562 erschien. Dennoch muss es sicher zum Heliand in Beziehung gesetzt werden. Die Präfatio zerfällt in zwei Teile: einen prosaischen und einen poetischen.
Im Prosa-Teil wird gesagt, wie Ludwig der Fromme einen berühmten sächsischen Dichter aufgefordert habe, den Inhalt des alten und neuen Testaments in deutscher Sprache zusammenzufassen. Der Dichter kam dem Auftrag seines Herren nach und kleidete die ganze biblische Geschichte vom Anfang der Welt an bis Christi Tod in ein poetisches Gewand. Wenn diese Aussage, dass der Dichter sein Werk mit dem Anfang der Welt begonnen hat, wahr ist, so hätten wir allerdings nur einen Teil der ganzen Dichtung vor uns, da nur die Bearbeitung des neuen Testamentes erhalten ist.
In den folgenden Hexametern wird als Dichter dann ein Bauer bezeichnet, den eine himmlische Stimme im Traum zum Dichter geistlicher Gesänge entflammt habe. Diese Anekdote ist offenbar im Anschluss an die Erzählung von Kädmon [1] entstanden, der auch über Nacht ein gottbegnadigter Dichter wurde.
Literarische Bedeutung[]
Der erhaltene Text ist von nicht geringem dichterischen Wert. Er gibt in seinen unverkennbar volkstümlichen Ausdrücken, Wendungen und poetischen Formeln ein Bild der fast ganz untergegangenen epischen Volkspoesie jener frühen Zeit. Das Versmaß ist die alliterierende Langzeile; die Verse sind in Fitten (Gedichtabschnitte) eingeteilt. Allerdings passt das Versmaß nicht gerade zum christlichen Inhalt, genausowenig wie der heidnische Charakter des Walthariliedes zu seinen lateinischen Hexametern passt.
Durch den volkstümlichen frischen Zug, der den Heliand durchweht, und die poetische epische Sprache ist das Werk ein wertvolles Denkmal der althochdeutschen Dichtkunst und hebt sich ab von der trockenen, mönchisch-pedantischen Ausdrucksweise der Evangelienharmonie des Mönches Otfried von Weißenburg (um 790-875).
Autorenfrage[]
Dass der Heliand auf Veranlassung des kirchlich gesinnten Ludwig des Frommen entstanden ist, erregt keinerlei Bedenken, dass hingegen der Dichter ein schlichter Bauer gewesen, ist nicht wahrscheinlich, da das Gedicht für die Leier eines ungebildeten Volkssängers doch zu gelehrt ist.
Neben seinen volkstümlichen Ausdrücken verrät das Werk außer der Bibel auch die Benutzung anderer lateinischer Quellen. So müssen dem Autor nicht nur die Tatianische Evangelienharmonie aus dem 2. Jh. vorgelegen haben, sondern auch verschiedene Bibelkommentare zu den vier Evangelien und zwar zum Matthäus-Evangelium der Kommentar des Rhabanus Maurus, zum Markus- und Lukas-Evangelium Kommentare des berühmten englischen Kirchenhistorikers Beda Venerabilis und zum Johannes-Evangelium ein Kommentar des Alkuin. Da der Kommentar des Rhabanus 822 geschrieben wurde, so kann diese Jahreszahl als terminus a quo des Heliandwerkes genommen werden.
Die Bildung des Verfassers kann also nicht unbedeutend gewesen sein. Daher ist es wahrscheinlich, dass der Heliand entweder von einem Geistlichen, der mit den Traditionen der Volksepik sehr vertraut war, oder wahrscheinlicher von einem berufsmäßigen Sänger, dem der Stoff von einem Geistlichen mitgeteilt wurde, verfasst worden ist.
Überlieferte Ausgaben[]
Erhalten ist das Heliandepos in einer Münchner Handschrift (Cgm 25) und Münchner Fragmenten (Cgm 8840) in der Bayerischen Staatsbibliothek in München (früher in Bamberg), sowie in einer Cotton-Handschrift in der British Library zu London. Dazu kommt ein Bruchstück in Prag, welches aber nur wenige Verse enthält und der Cotton-Handschrift sehr nahe steht.
Weiterhin entdeckte 1894 Zangemeister [2] in einer Handschrift des Vatikans altsächsische Fragmente, von denen eines Verse des Heliands enthält, während andere einer poetischen Bearbeitung alttestamentlicher Geschichten angehören. Da nach der von Flacius Illyricus mitgeteilten Nachricht der Dichter des Heliand auch das Alte Testament behandelt haben sollte, so lag es nahe, diesem die neu aufgefundenen Stücke der „altsächsischen Genesis“ zuzuschreiben. Doch haben sich neben augenfälligen übereinstimmungen auch so beträchtliche Abweichungen im Sprachgebrauch und Versbau der beiden Dichtungen ergeben, dass man inzwischen verschiedene Verfasser für sie vermutet.
Suche nach dem Anfang[]
Wie schon oben erwähnt, schrieb Flacius Illyricus in seiner Vorrede, dass der Dichter sein Werk vom Anfang der Welt bis zum Tode Christi geführt habe, und wenn dies wahr ist, somit nur ein Teil der Dichtung erhalten geblieben ist, während der Anfang verloren ging.
Schon im 19. Jh. wurden verschiedene Untersuchungen angestellt, um den Anfang des Werkes aufzufinden. Der Kulturhistoriker Wilhelm Wackernagel (1806-1869) sah im "Wessobrunner Gebet" den Eingang des ersten Teils. Bekannter wurde die Ansicht von Eduard Sievers [3], der in der angelsächsischen Genesis (Vers 235–851) ein Bruchstück des gesuchten alten Testamentes gefunden wähnte.
Unterstützt wird Sievers' Ansicht dadurch, dass genannte Verse im englischen Werk Interpolationen sind, und dass sie eine grosse Ähnlichkeit im Wortschatz und der Ausdrucksweise mit dem Heliand zeigen. Sicher bewiesen ist diese Meinung allerdings nicht und man nimmt daher meist an, dass Illyricus' Mitteilung in seiner Präfatio auf einem Missverständnis beruht.
Literatur[]
- Heliand (Cod. germ. 25) in der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB). Münchener Digitalisierungs-Zentrum (MDZ)
- Heliand Fragment (Cod. germ. 8840) in der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB). Münchener Digitalisierungs-Zentrum (MDZ)
- Heliand : Christi Leben und Lehre (Internet Archive). Nach dem Altsaechsischen von Karl Joseph Simrock. Berlin : G. Grote, 1882.
Quellen[]
- Heliand (BSB Cgm 25) im BSB-Katalog (Opac Plus)
- Reallexicon der Deutschen Altertümer (Volltext auf Zeno.Org). E. Götzinger. Leipzig 1885., S. 399-401 (Artikel Heliand).
- Herders Conversations-Lexikon (auf Zeno.Org). 1. Auflage. Freiburg im Breisgau 1854–1857. B. III, S. 268 (Heliand).
- Meyers Großes Konversations-Lexikon (auf Zeno.Org). 6. Auflage. Leipzig, 1905–1909. Bd. 9, S. 137-138 (Heliand).
- Pierer's Universal-Lexikon (auf Zeno.Org). 4. Auflage 1857-1865. Altenburg, 1860. Bd. 8, S. 212 (Heliand).
Einzelnachweise[]
- ↑ Beda Venerabilis, Historia Ecclesiastica. Lib. IV, Cap. XXIV
- ↑ Herausgegeben von Zangemeister und Braune in »Neue Heidelberger Jahrbücher«, 1894.
- ↑ Sievers, Eduard. Der Heliand und die angelsächsische Genesis (Internet Archive). Halle : M. Niemeyer, 1875