Als Hundertschaft bezeichnet man eine militärische oder gesellschaftliche Einheit von ca. 100 Mitgliedern. Militärische Beispiele liefern u.a. die römischen Zenturien; als gesellschaftliche Verbände sind z.B. die nach Dorfgemeinschaften organisierten germanischen Huntare zu nennen. [1]
Beschreibung[]
Die Germanen nutzten für die politische Landeseinteilung einen Bezirk, dessen Bezeichnung von der Hundertzahl abgeleitet ist, und den man deshalb in der Wissenschaft als Hundertschaft bezeichnet.
In Mitteleuropa findet sich in den Quellen des fränkischen Reiches als politischer Bezirk die centena; ihr Name erscheint in nachkarolingischer Zeit wieder in der ostfränkischen Cent, der moselländischen hunrie und der niederrheinischen Honnschaft. Die alamannischen Quellen kennen bis ins 11. Jh. einen Bezirk, der mal centena, mal huntari heisst. Die bayrischen und langobardischen Quellen kennen zumindest einen centurio oder centenarius als Vorsteher einer Hundertschaft.
An eine sächsische Hundertschaft erinnert der hunno aus dem Heliand-Epos und der hunteri aus dem althochdeutschen Tatian von Hrabanus Maurus aus dem Kloster Fulda. An eine Hundertschaft bei den Friesen erinnert die Nennung des friesländischen (Landschafts-)Bezirks pagus Kilingohuntari als Unterbezirk des pagus Ostrahe in den Fuldaer Traditionen [2] und die Bezeichnung villa Cammingahunderi (wahrscheinlich das spätere Leeuwarden, Friesland) in einer Schenkungsurkunde Ludwig des Frommen aus dem Jahr 839. [3]
Hundertschaftsvorsteher[]
Die Hundertschaft ist ein alter volksrechtlicher Gerichts- und Wirtschaftsverband, der seine Organe in der Versammlung der Hundertschaftsangesessenen und dem gewählten Hundertschaftsvorsteher fand. Ein solcher gewählter volksrechtlicher Vorsteher der Hundertschaft war z.B. der gotische hæraþshófþingi, der angelsächsische hundredesealdor, der thunginus bzw. centenarius der Lex Salica (6. Jh.).
Noch später wird gelegentlich der ostfränkische Centgraf oder der moselländische hunno gewählt; für den sächsischen gógreve kennt der Sachsenspiegel (I 56) noch die Bestellung durch Wahl als allgemeines Recht. Auch die Urteiler, die dómarar der Svear, die Rachineburgen der Franken und die friesischen Asegen waren ebenfalls vom Volk gewählte Beamte.
Ausnahmen[]
Allerdings hängen nicht alle Beispiele, in denen sich ein nach der Hundertzahl benannter Beamter findet, ausschließlich mit der Hundertschaft als germanische Verwaltungseinheit zusammen. Der gotische hundafaþs und der westgotische centenarius sind nichts anderes als Nachbildungen des römischen centurio und wie dieser ursprünglich ein Heerführer über 100 Mann.
Auch kommt schon im Capitulare de villis (62) von Karl dem Großen aus dem 9. Jh., im Prümer Güterbuch (Prümer Urbar [4] der Abtei Prüm in der Eifel) aus dem Jahre 893 und in den späteren französischen Quellen eine centena vor, die nichts mit der alten Hundertschaft zu tun hat. Und wenn auch das norwegisch-isländische hærað den Namen mit dem ostskandinavischen hæraþ gemein hat, so hat doch dieser Name, wenigstens für Island, seine technische Bedeutung in diesen Kolonisationsgebieten eingebüßt.
Als politische Verwaltungseinheit[]
In den europäischen Gegenden aber, die von germanischen Stämmen durch Landteilung besiedelt worden sind, ist überall die Hundertschaft die älteste politische Einteilung. Andere politische Verwaltungseinheiten (Bezirke) des Mittelalters, wie z.B. das Bo in Västergötland, die Syssel in Jütland, die Burgh und später die Shire in England, vor allem aber die Grafschaft (comitatus) in Deutschland, sind durchweg spätere Bildungen, die meist durch den Zusammenschluss mehrerer Hundertschaften entstanden.
Das germanische Gau (pagus) ist z.B. überhaupt keine politische Einteilung, und die germanische Tausendschaft hat nie existiert. Überall, wo wir Näheres über die Hundertschaft erfahren, bei den Schweden, Dänen, Angelsachsen, Franken, Alamannen, ist sie der ordentliche Gerichtsbezirk. Und zugleich erscheint sie vielfach als wirtschaftlicher Bezirk; die ordentliche Allmende bei den Ostskandinaviern ist z.B. die Hundertschaftsallmende, auch die Angelsachsen kennen Hundertschaftsmarken, und in den ostfränkischen und hessischen Gegenden fallen nachmals vielfach Markgenossenschaft und Hundertschaft zusammen.
Gerade das deutet auf die Ursprünglichkeit dieser Hundertschaftseinteilung, ebenso wie die Erscheinung, dass sowohl in Schweden wie in Schwaben die Hundertschaftsnamen wiederholt nicht vom Namen ihres Hauptortes, sondern aus demselben Wortstamm wie der Name eines in ihnen liegenden Dorfes gebildet sind. Unter diesen Umständen muss man die bei Cäsar und Tacitus erwähnten pagi, in welche die civitates der Germanen sich gliederten, als Hundertschaften ansehen.
Ursprüngliche Bedeutung[]
Die ursprüngliche Bedeutung der Hundertschaft ist nicht restlos geklärt. Vereinzelte Meinungen sahen in der Hundertschaft einen Verband von 100 Dörfern, 100 Sippen, 100 Haushalten oder ein hundertköpfiges Verwaltungskollegium. Doch hauptsächlich lassen sich drei Hauptansichten unterscheiden:
Heerestheorie[]
Die einen Forscher (darunter z.B. Heinreich Brunner, Richard Schröder u. a.) sahen in der Hundertschaft einen Verband von 100 Heermännern (Heerestheorie). Die Ansicht begegnet neben quellenmäßigen auch sachlichen Schwierigkeiten. Entweder wurde die Hundertschaft bei der Besiedelung ein territorialer Verband; dann ging die Beschränkung auf die 100 Heermänner rasch verloren, und es ist unklar, wie für diesen Bezirk, nur deshalb, weil er vor Jahrhunderten einmal im Moment der Besiedelung 100 Heermänner gestellt hatte, der Hundertschaftsname bei den verschiedensten Stämmen fortdauern konnte. Oder aber (laut Heinreich Brunner) wurden die Heereshunderte immer neu eingeteilt und waren Jahrhunderte lang nach der Besiedelung persönliche Verbände. Diese Theorie stand allerdings mit der Beobachtung, dass die Hundertschaft bei den Germanen als ältester und ursprünglichster territorialer Verband erscheint, im Widerspruch.
Haufentheorie[]
Eine zweite Ansicht (darunter z.B. Otto Gierke, Karl von Amira und Claudius von Schwerin) verzichtete auf eine Deutung der Hundertzahl. Sie nahm an, dass hundert nichts anderes als die unbestimmte Vielheit bedeutete, und dass die Hundertschaft nichts anderes als ein aus vielen Menschen bestehender Haufen war (Haufentheorie). Allerdings fehlt hier der Beweis, dass die Hundertzahl zur Bezeichnung einer ungezählten Vielheit in der älteren Sprache verwendet worden ist. Und die Claudius von Schwerin verfochtene Unterscheidung zwischen dem gezählten hundert und dem ungezählten hunt ist nicht belegt.
Hufentheorie[]
Der Haufentheorie widerspricht, dass das angelsächsische hundred in angelsächsischen Quellen und dem Domesdaybook als Verband von 100 Hiden (Großhufen) erscheint (Hufentheorie). Diese Hidenhunderte und Fünfhidenverbände erscheinen nicht nur im Domesdaybook, sondern finden sich schon in den ältesten angelsächsischen Quellen als Landeinheiten. Sie reichen offenbar in die Zeit der angelsächsichen Besiedelung zurück. Die Hide war dabei kein festes Landmaß, sondern der Quotient, der sich aus der fortschreitenden Landesteilung ergab und Sitz mehrerer Familien, wobei man bei diesem Teilungsmodus versuchte, die Sippenverbände zu wahren.
In Deutschland finden sich Anzeichen einer solchen Hufengliederung z.B. in einer oberysselschen Urkunde von 1133, nach der jemand mehrere Warscaph verschenkt, Anteile, die mehrere Hundertschaften an einem gemeinsamen Wald haben. [5] Auch der Satz des Tacitus (Germ. XII) [6], dass im Gemeindegericht den gewählten Gemeindevorstehern jedem hundert Gefährten aus dem Volk als Rat und Bewährung zur Seite stehen, lässt die Deutung zu, dass die Thingpflicht auf Landeinheiten lastete, von denen es hundert in der Hundertschaft gab. Als sich im Fränkischen Reich die Grundherrschaft herauszubilden begann, verwischt diese Hunderthufeneinteilung allmählich.
Spätere Entwicklung[]
Sowohl in England wie auch im skandinavischen Norden erhielt sich die Hundertschaft als Gerichts- und Verwaltungsbezirk bis in die Neuzeit. Ebenso überdauerten die ostfränkischen, rheinfränkischen und hessischen Centen als Gerichtsbezirke und zum Teil auch als Markgenossenschaften das Mittelalter. Dagegen verschwand die Hundertschaft am Niederrhein; ihren Namen (Honschaft) gab sie an die kleinen Gemeindebezirke ab, die aus der Zersplitterung der alten Hundertschaftsmarkgemeinde hervorgingen.
In den Moselgegenden erhielten sich die Hundertschaftsgerichte noch im späteren Mittelalter als hunrie oder hommelding, doch nicht als Gerichte der alten großen Hundertschaftsbezirke, sondern als Gerichte, die nur ein Dorf oder einige Dörfer umfassten und in durchaus verschiedenen Händen waren. Die gleiche Entwicklung vollzog sich in Schwaben, wo die alte Hundertschaftsgerichtsbarkeit in der Gerichtsbarkeit über diube und frevel (furtum et temeritas) fortdauerte, die in den einzelnen Dörfern die verschiedenen Herren hatten.
Dennoch erhielten sich vereinzelt markgenossenschaftliche Verbände als Reste alter großer Hundertschaften (so z.B. Pfronten, Dornstetten, die Weibelhube usw.). In Bayern verschwand die Hundertschaft fast gänzlich, während die sächsische Goschaft (góscap) und der friesische Schulzenbezirk (dél) die direkte Fortsetzung der alten Hundertschaftsverbände darstellten.
Entwicklung zum Amtsrecht[]
Die weitere Geschichte der Hundertschaft ist ein allmählicher Sieg des Amtsrechts über das alte Volksrecht. An die Stelle der volksrechtlichen Urteilsfinder traten in Franken und Sachsen die amtsrechtlichen Schöffen. Der Zentenarius wurde dem königlichen Beamten, dem Grafen, völlig untergeordnet und seit Karl dem Großen (747-814), unter Mitwirkung des Grafen gewählt, anderswo (Friesland, fränkische und schwäbische Gegenden) durch den amtsrechtlichen Schultheiß verdrängt.
Der Richter der angelsächsischen, der dänischen, der sveischen Hundertschaft wurde der königliche Gerefa, umbuzman und lænsman. Die Kompetenzen des Hundertschaftsgerichts werden eingeschränkt. So waren seit Karl dem Großen die Prozesse über Eigentum dem Grafengericht vorbehalten, während der Versuch Karls, auch die peinlichen Sachen dem Centenar zu entziehen [7], unter seinem Sohn nicht mehr aufrecht erhalten wurde [8]; in der Tat richtete später allgemein, nicht erst seit dem 13. Jh. das Centgericht, Hommelding oder Goding über peinliche Sachen.
England[]
In fast ganz England war die politische Einteilung das hundred; selbst in den von den Dänen besiedelten Gebieten, wo es durch das sogenannte Wapentake (wǣpengetæc) als Verwaltungseinheit verdrängt wurde, war das Land ursprünglich in Hundred eingeteilt. Das angelsächsische hundred erscheint entsprach 100 Hiden (Großhufen). Spuren einer ähnlichen Hufengliederung der politischen Bezirke finden sich auch noch in den dänischen Gebieten Englands, wo, seitdem die Hundertschaft durch das Wapentake ersetzt wurde, die Dörfer oder Dorfkomplexe Einheiten von 6, 12, 18 oder 24 Karukaten bildeten.
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- Siehe Hauptartikel: Harde
Bei den Svear führt ein solcher Hundertschaftsbezirk den Namen hundari, dem in Größe, Organisation und verfassungsrechtlicher Bedeutung das gotische hæraþ und das dänische hæræth (von anord. hær - 'Heer' abgeleitetet) entsprach. Ein hærað oder hæraþ kam auch in Norwegen und Island vor. In Schweden findet sich zudem eine ähnliche Hufengliederung wie in England, wo das Dorf normalerweise ein Achthufendorf war, und die in Hälften und Viertel eingeteilte Hundertschaft ursprünglich, wie es scheint, 12 solcher Dörfer umfasste.
Quellen[]
- Deutsche Rechtsgeschichte (Internet Archive). 2. Bände. (1. Bd. in 2. Auflage). Heinrich Brunner. Leipzig 1906 und 1892. Neuauflage Verlag BiblioBazaar, 2010. ISBN 1173128565, ISBN 9781173128562. Bd. I, S. 159 ff., Bd. II, S. 146 ff.
- Deutsche und französische Verfassungsgeschichte vom 9. bis zum 14. Jahrhundert (Internet Archive). Ernst Mayer. Leipzig : Deichert, 1899. Bd. I, S. 434 ff.
- Deutsche Verfassungsgeschichte (Internet Archive). George Waitz. 8 Bände. 3. Aufl. Berlin 1878-96. Bd. I, S. 214 ff. Bd. II, S. 398 ff.
- Die Fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung: Band 1 (Google Books). Rudolf Sohm. Weimar : H. Böhlau, 1871.
- Grundriß des germanischen Rechts (= Grundriß der Germanischen Philologie; Band 5). Karl von Amira. 3. Auflage. Strassburg 1913. (Digitalisat von Internet Archive). Bd. III, S. 122 (72) f.
- Lehrbuch der Deutschen Rechtsgeschichte (Internet Archive). Richard Schröder. 5. Auflage. Leipzig : Veit, 1889. S. 19 f. 125 f. 128 ff.
- Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 1. Auflage, 4 Bände. Johannes Hoops. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. II, S. 571 ff.
Einzelnachweise[]
- ↑ Wikipedia: Hundertschaft
- ↑ Fuldaer Traditionen (Friedländer, Ostfr. ÜB. n 791) in Zeitschrift der Savigny-stiftung für Rechtsgeschichte, Band 15 (Internet Archive). Weimar : H. Böhlau, 1894.
- ↑ Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Heft 90 (Internet Archive). Otto Gierke. Breslau : G. Martin, 1907.
- ↑ Prümer Urbar bei dilibri.de (Rheinland-Pfalz)
- ↑ E. Mayer, aaO. Bd. I, S. 412: "...10 iacent inter 100 portiones illorum de Ostergo ... item 4 inter 100 illorum de Wye, item 2 inter 100 illorum de Sutheoe..."
- ↑ Tacitus, De origine et situ Germanorum (Germania). Übersetzung "Die Germania des Tacitus". Anton Baumstark: Freiburg 1876. Digitalisat auf Wikisource.: "... princeps ius pagus "centeni singulis ex plebe comites consilium simul et auctoritas assunt."
- ↑ Monumenta Germaniae Historica (MGH). Capit. I n. 80, 4
- ↑ MG. Capit. I n. 156 c. 3