Als Insulare Malerei bezeichnet man den ganz eigentümlichen Stil des Handschriftenschmuckes, den die im 5. Jh. zum Christentum bekehrten keltischen Bewohner Irlands bildeten und den sie im 7. Jh. bei der Gründung ihrer Niederlassungen in Schottland zur Nachbarinsel hinübertrugen.
Beschreibung[]
Der Stil der Insularen Malerei wurde von den Angelsachsen übernommen und traf bei ihnen mit einer Kunst zusammen, die mit der von Italien aus erfolgten Bekehrung des südlichen Englands eingedrang und in weit engerem Zusammenhang mit antiken Traditionen steht als die übrige gleichzeitige Kunst. Alle Einzelheiten dieses Verlaufes sind bisher ungeklärt, wie z.B. die Unterscheidung zwischen Handschriften mit irischen Ursprung und jenen mit angelsächsischen Ursprung. Die alten legendarischen Datierungen, die jede Handschrift mit berühmten Namen aus der Bekehrungszeit der Inseln in Verbindung brachte, sind unhaltbar und auch die neuzeitlichen Zeitansätze differieren gerade bei den Haupthandschriften um Jahrhunderte. Infolgedessen fehlt eine Einheitlichkeit in der Auffassung des Entwicklungsverlaufs.
Irland[]
Die Frage, aus welcher Quelle die irische Malerei ihre Motive schöpft, ist ebensowenig entschieden wie bei der Merowingischen Buchmalerei. Einige Forscher sehen einen direkten Zusammenhang zwischen Irland und dem christlich-orientalischen Kunstkreis; Carl Bernhard Salin (1861-1931) stellte dagegen vier Hauptgruppen von Ornamenten mit verschiedener Herkunft auf [1]:
- 1.) Das sog. "Scroll-Ornament", das sich aus Elementen der Latènekultur zu einer spezifisch keltischen Zierform entwickelte und im Grunde von der griechischen Akanthusranke stammt.
- 2.) Geometrische Ornamente, die mit den silbertauschierten germanischen Eisensachen des Kontinents verwandt sind.
- 3.) Tierornamente, die auf germanische Tierbilder zurückgehen.
- 4.) Bandornamente, die ebenfalls durch die germanische Bandornamentik vermittelt wurden.
Aus diesen Elementen entwickelt sich unter der Einwirkung fremder (z.B. byzantinischer) Vorbilder ein System der Handschriften-Dekoration, das bereits in den ältesten irischen Handschriften, dem "Book of Durrow" und dem "Book of Kells" (um 700) ausgebildet ist und sich von der Merowingischen Buchmalerei deutlich unterscheidet.
Erhalten sind aus älterer Zeit lediglich Evangelienhandschrfiten und Psalterien. Ihr Schmuck besteht in Zierseiten, die im Gegensatze zur kontinentalen Gepflogenheit als dekorative Einheit behandelt werden. Rahmen und Grund werden mit Scrollwerk, vielfach verschlungenen Bändern und Geflecht aus schlangenartigen Tieren und Vögeln gefüllt, deren Gliedmaßen oft weit voneinander getrennt und nur durch Bandverschlingungen verbunden sind. In gleicher Weise werden die figürlichen Darstellungen als Flächendekoration aufgefaßt, indem alle Elemente des Bildes dem kalligraphischen Ornament angenähert werden (Abb. 5).
Diese Tendenz macht sich in steigendem Maße in den jüngeren irischen Handschriften, dem Codex St. Gallen 51 (Nr. 51, Mitte des 8. Jhs.), dem "Book of Armagh" (Dublin, Trinity College Library; a. 812) und dem Evangeliar des Mac Regol (Oxford, Bodl. n. 3946; um 800) bemerkbar und bleibt das Elementargesetz der irischen Dekoration bis zum 12. Jh., in dem dieser Stil gleichzeitig mit der nationalen Schrift zurückzutreten beginnt.
Nordengland[]
In der Ornamentik unterscheiden sich die in Schottland und dem nördlichen England entstandenen Handschriften von den irischen vor allem durch die klarere Gesamtwirkung, die durch außerordentlich überlegte Flächenteilung, das Raffinement der Linienführung, die Feinheit in der Stilisierung der Motive und ihrer Verteilung auf Rahmen, Muster und Grund erreicht wird.
Dass dabei das Vorbild spätantiker Handschriften wirksam ist, beweisen figürliche Darstellungen, wie z. B. die Evangelistenbilder des im Beginn des 8. Jhs. geschriebenen "Book of Lindesfarne" (s. Bild: Evangelist Markus; Cott. lib. Nero, D. IV [2]) für die Figur des Matthäus könnte eine erhaltene italienische Miniatur als Vorlage gedient haben, die dem in Kloster Jarrow oder Kloster Wearmouth entstandenen "Cod. Amiatinus" (Florenz, Laurentiana) vorgebunden ist.
An die Stelle der ornamentalen irischen Auffassung der menschlichen Figur tritt engerer Anschluß an die klassisch-antike Formensprache. Doch bleibt, dem Ausgangspunkt dieser Kunst getreu, der Linienkontur der eigentliche Träger der künstlerischen Absicht.
Südengland[]
Größere Freiheit gegenüber der irischen Tradition auch in der Ornamentik kennzeichnet die im südlichen England entstandenen Handschriften, wie das Cuthbert-Evangeliar in Wien (Hofbibl. 1224) und das Evangeliar in Petersburg (F. 1, 8). Sie zeigen neben beginnender plastischer Tendenz in der Wiedergabe der menschlichen Figur das Einströmen neuer ornamentaler und zoomorpher, auch von der irischen Kunst bis dahin durchaus fremden pflanzlichen Motiven.
Wie weit die angelsächsische Kunst sich schließlich ihren byzantinischen Vorbildern nähert, beweisen Handschriften, die etwa um die Mitte des 8. Jhs. wahrscheinlich in Canterbury entstanden sind, nach anderer Anschauung freilich schon von der karolingischen Bewegung abhängig wären. Die Bilder des Codex purpureus in Stockholm und des "Vespasianischen Psalters" (London, British Library, Cotton Vespasian A I) bedeuten die Überwindung des vorkarolingischen Flächenstiles und die Einführung eines plastischen Ideales in die nordische Kunstentwicklung, das auch den Beginn der karolingischen Renaissancebewegung beherrscht. Es scheint aber, als ob diese neuen Ansätze, vielleicht infolge der politischen Wirren, auf den Inseln zu keiner dauernden Entwicklung gelangen.
Angelsächsische Malerei des 10. Jhs.[]
Vom Beginn des 9. Jhs. bis etwa zur Mitte des 10. Jhs. ist, wie es scheint, in England von künstlerischer Tätigkeit kaum die Rede; in kleinen Initialen ist ein Weiterleben gewisser vorkarolingischer Motive zu beobachten, aber kein irgend wichtigeres Denkmal der Malerei ist uns erhalten. Mit einem Schlage entstehen am Ende dieser Zwischenzeit Werke eines ganz neuen und eigenartigen Stiles, der offenbar mit der insularen Vergangenheit wenig zu tun hat, mit reicher, saftiger Ornamentik, mit figurenreichen Szenen voll leidenschaftlichen Ausdrucks in der psychischen Charakteristik und kühnster farbiger Behandlung, für den man mit einiger Mühe Analogien in karolingischen kontinentalen Schulen sucht, um ihn von dorther abzuleiten.
- siehe: Taf. 10, Abb. 8: Verkündigung an die Hirten und Flucht nach Ägypten (Benedictional of Saint Aethelwold, Rouen, Bibl. Y 7 [3]).
Daneben treten Illustrationen in Federzeichnungen auf, die denen des Utrechter Psalters (s. Karolingische Malerei: Reims) sehr verwandt sind, der im 10. Jh. nach Canterbury gekommen zu sein scheint. Lange galt der Utrechter Psalter als angelsächsisches Produkt, weil es undenkbar schien, daß fremde Formen von Beginn an mit solchem Verstehen aufgegriffen werden konnten. Wie es scheint besonders von zwei Zentren, den Schulen von Winchester und Canterbury, ausgehend, herrschte dieser Stil in England bis zur zweiten Hälfte des 11. Jhs. Auf dem Kontinent kann ihm in seinen besonderen Qualitäten kaum etwas zur Seite gestellt werden; und er übte tiefgreifenden Einfluß auf die nordfranzösisch-belgischen Schulen des 11. Jhs., wie Saint-Bertin, Saint-Omer und Saint-Amand aus, und einen wichtigen Faktor bei der Entstehung des gotischen Stiles in der Malerei bildet.
Quellen[]
- Facsimiles of the miniatures & ornaments of Anglo-Saxon & Irish manuscripts (Internet Archive). J. O. Westwood. London : B. Quaritch, 1868.
- An Inquiry Into the Art of the Illuminated Manuscripts of the Middle Age (Google Books): Part I, Celtic Illustrated Manuscripts. Johan Adolf Bruun. 1897
- Celtic illuminative art in the gospel books of Durrow, Lindisfarne, and Kells (Internet Archive). F. H. Robinson. Dublin : Hodges, Figgis, & co., limited, 1908.
- Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Band 3. Johannes Hoops, 1918-1919. S. 174 ff.
- Geschichte der Evangelienbücher in der ersten Hälfte des Mittelalters (Internet Archive auf Mikrofilm). Stephan Beißel. Freiburg im Breisgau, St. Louis, Mo.: Herder, 1906.
- Die Miniaturen des frühen Mittelalters. Hermann Hieber. Piper, 1912. (im Katalog der Universitätsbibliothek Heidelberg)
Einzelnachweise[]
- ↑ Die altgermanische Tierornamentik (Internet Archive): typologische Studie über germanische Metallgegenstände aus dem IV. bis IX. Jahrhundert, nebst einer Studie über irische Ornamentik. Bernhard Salin. Stockholm : K.L. Beckmans büchdruckerei, in Kommission bei A. Asher, Berlin, 1904 (p. 335).
- ↑ 2,0 2,1 Cotton library: Nero (D. IV: Cotton Genesis) Sammlung Robert Bruce Cotton (Hs. Cott. Nero.); British Library. London
- ↑ The Benedictional of Saint Aethelwold, Bishop of Winchester, 963-984 (Google Books). H. A. Wilson. Band 156 von Roxburghe Club, 1910.