Kriegsflotten waren in Mittel- und Nordeuropa bereits lange vor der Zeit der Wikinger Teil des Heerwesens und der Kriegsführung.
Beschreibung[]
Bereits die skandinavischen Hällristningar (Felszeichnungen) aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. (frühe Bronzezeit) zeigen ganze Gruppen von Schiffen, die man als Darstellung von Seekämpfen und Kriegsflotten deuteten kann. Allerdings verbietet der Mangel näherer geschichtlicher Nachrichten dazu, ein bestimmtes Urteil in dieser Hinsicht.
Römische Eisenzeit[]
Während der römischen Eisenzeit (0-200 n.Chr.) kam es beim Vordringen der Römer zu den nordwesteuropäischen Küsten zu Seekämpfen mit den Flotten der gallischen Veneter, wie Cäsar berichtete:
„... sie (die Veneter) ließen dann immer eine große Zahl Schiffe landen, wie sie im Überfluss hatten, und retteten so sich und ihre ganze Habe in die nächstgelegenen Festungen...“
– Caesar: De bello Gallico; Liber III, 12, 13 [1]
Später kam es auch mit den Schiffen der Rhein- und Emsgermanen zu ähnlichen Zusammenstößen. Die Flotte der Brukterer, die von den Römern im Jahr 12 v. Chr. besiegt wurde, bestand aus Einbäumen; doch als organisierte Kriegsflotte im eigentlichen Sinn war sie kaum zu betrachten. Ebenso war die Flotte des Julius Civilis (25-70 n.Chr,) beim Bataveraufstand 70 n. Chr. improvisiert; sie setzte sich zum Teil aus eroberten römischen Schiffen, zum Teil aus den einheimischen Einbäumen des Niederrheins zusammen.
An eine wirkliche Kriegsflotte läßt allerdings die Nachricht des Tacitus (Germ. c. 44) denken über die Suionen (Schweden) im östlichen Ostseegebiet; wobei die Fahrzeuge dieser suionischen Flotten dem Nydamboot geähnelt haben dürften:
„Hierauf (folgen) die Länder der Suionen, für sich im Ozean, neben Mannschaft und Waffen durch Flotten mächtig. Die Gestalt ihrer Schiffe ist dadurch eigen, daß ein Vorderteil an beiden Enden die zur Landung stets bereite Stirn bietet. Sie werden nicht mit Segeln bedient und haben ihre Ruder nicht in einer Reihe angefügt: (sondern) ein loses Ruderwerk, wie auf manchen Flüssen, und nach Erforderniss von beiden Seiten wechselbar.“
– Tacitus: Germania, Kap. 44 [2]
In den ersten Jahrzehnten des 1. Jhds. n. Chr. setzt eine Periode von Seeraubzügen der Nordseegermanen (zuerst der Chauken und Friesen, später der Heruler, Franken, Sachsen usw.) ein, die sich im 2. und 3. Jh. wiederholen und im 4. und 5. Jh. in der Eroberung gallischer Küstengebiete und Britanniens gipfeln. Doch auch wenn sich an diesen Seezügen gelegentlich ganze Stammesteile beteiligen, und diese germanischen Wikinger Seekämpfe mit römischen Flotten ausfochten, so waren es doch im Ganzen eher Einzelunternehmungen von Familien oder Sippen, und keine Stammes- oder gar staatlichen Organisationen.
Eher läßt sich das von den Flotten der pontischen Goten - Ostgoten, Boranern (Krimgoten) und Herulern - sagen, die in den Jahren 256-269 und nochmals 275/6 in gewaltigen Raubzügen vom Nordufer des Schwarzen Meeres aus Kleinasien und Griechenland heimsuchten. Doch bestanden diese Flotten (im Jahre 266: 500, im Jahr 269: 2000 Schiffe) aus requirierten Fahrzeugen der Bosporaner, zum Teil auch aus Schiffen der pontischen Seeräuber (kleinen, leichten Segelschiffen für 25 bis 30 Mann), sowie deren Nachbauten und eroberten römischen Fahrzeugen.
Völkerwanderungszeit[]
Eine wirkliche Kriegsflotte stellte die Seemacht der Vandalen dar, die sich ab 425 von Spanien aus durch Heimsuchung der Balearen und Mauretaniens bemerkbar machte, wobei requirierte römische Schiffe zur Anwendung kamen. Nach der Übersiedelung nach Afrika bildete das 439 mit seinen Arsenalen und seinem Schiffsmaterial eroberte Karthago den Stützpunkt der vandalischen Flotte, die bis in den Beginn des 6. Jhds. das Mittelmeer, insbesondere dessen westlichen Teil, beherrschte. Anfänglich mehrere 100 Schiffe stark, verfiel sie nach Geiserichs Tode († 477) und beim Sturz des Vandalenreichs 533 wurden nur noch ca 120 Schiffe gezählt.
Die Fahrzeuge waren kleine, leichte Schnellsegler für je ca. 40 Mann Besatzung, also keine eigentlichen Remenkriegsschiffe, von römischer Bauart. Dabei bildeten römische Seeleute und Schiffbauer die Lehrmeister der Vandalen in der Nautik, und zwar obwohl es durch ein Gesetz vom Jahre 419 bei Todesstrafe verboten war, die Barbaren im Schiffbau zu unterweisen. Das Holz für den Bau der Flotte wurde aus Korsika bezogen. Ihren einzigen Seesieg über die byzantinische Flotte erfocht die vandalische im Jahre 460 mit Hilfe von Branderschiffen. [3]
Im Reich der Ostgoten begründete Theoderich im Jahre 526 eine Flotte, die das bisher zur See verteidigungslose Italien gegen Griechen und Vandalen schützen und zugleich als Getreideflotte dienen sollte. Er befahl 1000 Dromonen, (große Remenkriegsschiffe zu bauen, bestimmte als Flottenbasis Ravenna und ordnete Anwerbungen von Sklaven und Freien für die Flotte an. Der Ostengotenkönig Totila († 552) improvisierte 542 aufs neue eine ostgotische Flotte, die sich meist aus gekaperten kaiserlichen Schiffen zusammensetzte, zeitweise 300 Fahrzeuge zählte, 551 aber bei Sinigaglia von den Byzantinern geschlagen und vernichtet wurde.
Auch die Westgoten besaßen in ihrem spanischen Reich eine Seemacht, die 478 in der Biskaya-Bucht gegen sächsische Seeräuber kämpfte, um 540 die Eroberung von Ceuta ermöglichte, unter König Sisebut (612-621) angeblich die See beherrschte, und noch Ende des 7. Jh. eine byzantinische Flotte zurückgeschlagen haben soll, die arabische Invasion aber nicht verhindern konnte. Auch diese ost- und westgotischen Flotten waren im Wesentlichen ein Erzeugnis römisch-mediterraner Nautik. Das gleiche gilt von der Flotte, mit der die Langobarden um 600 Sardinien angriffen.
Frühmittelalter[]
Das Fränkische Reich besaß von Haus aus keine organisierte Seemacht. Die Flotten, mit denen 515 ein dänischer Einfall am Niederrhein abgewehrt und 734 von Karl Martell Friesland unterworfen wurde, waren improvisiert. Zur Gründung einer wirklichen Kriegsflotte gaben erst die Einfälle der Normannen im Norden und der Sarazenen im Süden Anlaß. Karl der Große gab 800 und, nachdem die getroffenen Maßnahmen sich als unzureichend herausstellten, nochmals 810 Befehl zur Erbauung einer Flotte an der Nordsee und Kanalküste, in Aquitanien (Garonne), Septimanien und Provence (Rhone), sowie an der Westküste Italiens bis nach Rom hinab.
Doch nur die italienischen und südfranzösischen Geschwader traten wirklich in Aktion und errangen einige bescheidene Erfolge gegen die Sarazenen. Die Nordseeflotte hatte ihre Stützpunkte in Boulogne und Gent. Zur Bemannung waren, wenn das Aufgebot erlassen wurde, die seniores (Grundbesitzer, Dienstherren) persönlich verpflichtet. Allerdings richtete diese Flotte weder damals noch später irgend etwas aus, obwohl sie 837/8 nach einem neuerlichen Normanneneinfall in Friesland abermals durch Neubauten verstärkt wurde. Nur auf der Seine war 858 eine westfränkische Flußkriegsflotte wirksam.
Über die Art der Schiffe ist nichts bekannt, doch handelt es sich sicherlich um Schiffe germanischer Bautechnik. Nach der Auflösung des fränkischen Reiches waren weder das Heilige Römische Reich noch das französische Königtum im 10. und 11. Jh. im Besitz einer Seemacht. Bei seiner Aktion gegen Flandern 1049 mußte Kaiser Heinrich III. (HRR) (1017-1056) gar die Hilfe der dänischen und englischen Flotte erbitten.
Angelsachsen[]
- Siehe Hauptartikel: Kriegsflotte der Angelsachsen
Weit folgenreicher erwies sich die ebenfalls durch die Normanneneinfälle veranlaßte Gründung einer Kriegsflotte der Angelsachsen in England. Schon König Offa von Mercien (757-796), soll eine Flotte geschaffen haben, doch richtete sie weder unter ihm noch unter seinen Nachfolgern Erhebliches gegen die Normannen aus, abgesehen von einem Seesieg, den Aethelstan 851 bei Sandwich über die Dänen davontrug.
Der wahre Begründer der englischen Kriegsflotte wurde Alfred der Große. Bereits 875, 882 und 885 kämpfte seine Flotte, meist siegreich, gegen die Dänen. 897 ließ Alfred einen neuen Schiffstyp gegen die Wikingerschiffe (s. Schiffsarten) erbauen, der diesen an Größe und Kampfkraft überlegen war und in einem Kampf an der englischen Südküste den Sieg gewann. Alfreds Flotte war teilweise mit Friesen bemannt... Weiterlesen.
Wikingerflotten[]
- Siehe Hauptartikel: Wikingerflotte
Die Wikingerflotten der Skandinavier waren, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, keine Kriegsflotte im eigentlichen Sinne da sie eher Transportzwecken dienten, und da ihre Expeditionen meist Unternehmungen Einzelner mit ihren Gefolgschaften oder privater kriegerischer Gruppen waren, und nicht der skandinavischen Reiche. Ende des 9. Jhs. bildeten sich allerdings einzelne Wikingerheere, insbesondere "Das Große Heer", zu wandernden Staatswesen um, doch verlor nach der Besitzergreifung der Normandie die Flotte im Wesentlichen ihre Bedeutung für das neue Reich, da das Lehnswesen schon bald zur herrschenden Gesellschafts- und Regierungsform wurde. Wilhelm der Eroberer mußte 1066 seine Invasionsflotte improvisieren bzw. seine Vasallen darum angehen, von denen sich jeder nach vorhergegangener Verhandlung zur Stellung einer bestimmten Zahl von Schiffen verpflichtete... Weiterlesen.
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Quellen[]
- Die Einfälle der Goten in das römische Reich (Internet Archive). Bruno Rappaport. C.L. Hirschfeld : Leipzig, 1899) Kap. 4.
- Die Normannen und das fränkische reich bis zur gründung der Normandie (799-811) (Internet Archive). Walther Vogel. Heidelberg, G. Winter : 1906. S. 51,55—56.
- Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 4 Bände (1. Aufl.). Johannes Hoops. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. III, S. 106 ff.
Einzelnachweise[]
- ↑ De Bello Gallico (Wikibooks). Gaius Iulius Caesar. Paralleltext Liber III, 12, 13 (Lateinisch–Deutsch) auf Gottwein.de.
- ↑ Tacitus, De origine et situ Germanorum (Germania). Übersetzung "Die Germania des Tacitus". Anton Baumstark: Freiburg 1876. Digitalisat auf Wikisource.
- ↑ Geschichte der Wandalen (Internet Archive). Ludwig Schmidt. Leipzig, 1901. S. 173 f.