Nerthus, auch Hertha genannt, war gemäß Tacitus eine von den norddeutschen Völkerschaften, jenseit der Elbe an der Ostsee, verehrte Erdgöttin. Sie verkörperte die Mutter Erde (Terra mater).
Beschreibung[]
Nach Tacitus (Germ. 40) verehrten mehrere Stämme im nördlichen Deutschland, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf der jütischen Halbinsel wohnten, gemeinsam die Nerthus, die terra mater, deren heiliger Hain sich auf einer Insel des Ozeans befand.
- „Die Langobarden [...], die Reudigner [...], und die Avionen, die Anglier und Variner, die Eudosen, Suardonen und Nuitonen sind durch Flüsse und Wälder verwahrt. Nichts ist bemerkenswert an all’ den Einzelnen, als dass sie vereint die Nerthus verehren, d. h. die Mutter Erde, des Glaubens, dass diese eingreife in der Menschen Leben und in der Völker Mitte fahre. Es ist auf einer Insel im Ozean ein heiligreiner Hain...“ - Tacitus (Germ. 40)
Dieser Teil des Ozeans ist wahrscheinlich die Ostsee und die Insel eine der dänischen Inseln gewesen. Auch die Ostseeinsel Rügen kommt in Betracht, wo sich auf der Halbinsel Jasmund bei Stubnitz ein entsprechender Hain (Herthaburg) und See (Hertha- oder Schwarzer See) befinden. Für eine der dänischen Inseln (z.B. Alsen) spricht, dass sich dort ebenfalls See und Hain noch finden und auch die Sage von den Kühen der Nerthus noch fortlebt. [1]
Einordnung[]
Die Benennung Hertha soll auf die Lesart aus schlecht erhaltenen Handschriften an der betreffenden Stelle des Tacitus hervorgehen. Nerthus hatte wahrscheinlich einen gleichnamigen Bruder, der in der nordischen Mythologie den alten Namen in der Form Njörd fortführt. Einige nehmen auch an, dass Nerthus Eins sei mit der nordischen Jörd, der Mutter Thors. [2][3]
Heiliger Hain[]
Wo sich der heilige Hain der Nerthus befand, ist aus der Germania nicht ersichtlich. Mit großer Wahrscheinlichkeit verlegte man ihn in die fruchtbaren Gefilde von Seeland, wo sich später das Heiligtum von Lethra (auf Seeland) befand. Das Opfer, das hier noch später stattfand, zeigt auffallende Ähnlichkeit mit dem großen Freyopfer in Uppsala. Daher mag hierher der Nerthuskult eingewandert sein, wie ihn auch die Haruden mit an das westliche Gestade von Norwegen nahmen, wo auf Njarðarlög, dem heutigen Tysnes, Ortsnamen noch heute an ihn erinnern (vgl. Njörd, Freyr).
Kultwagen[]

Eisenzeitlicher Kultwagen aus dem Dejbjerg-Moor (Westjütland)
Im heiligen Hain der Nerthus befand sich ihr Wagen, der wohl den Prunkwagen ähnelte, die im Dejbjerg-Moor in Westjütland ausgegrabenen wurden [4].
Dieser Wagen der Nerthus war mit einem Tuch bedeckt und durfte nur vom Priester berührt werden. Im Frühjahr wurde er durch die Gaue gefahren, gezogen von Kühen und begleitet vom Priester.
Wohin er kam, wurde er verehrt; und während der Zeit der Umfahrt herrschte überall Waffenruhe und frohe Feste wurden gefeiert, bis der Priester das Götterbild in sein Heiligtum zurückbrachte. Alsdann wurden Wagen, Tuch und Götterbild in einem einsamen See mit Wasser übergossen und die Sklaven, die bei der heiligen Handlung zugegen gewesen waren, im See ertränkt.
- „... und in demselben [Hain] ein geweihter, mit einem Gewand bedeckter Wagen, zu berühren nur dem Priester gestattet. Dieser weiß genau, wenn die Göttin im Heiligtum gegenwärtig ist, und begleitet sie, von weiblichen Rindern gezogen, mit tiefer Verehrung. Freudenvoll sind dann die Tage, festlich all’ die Orte, welche die Göttin ihres Besuches und Eintretens würdigt; keine Kriege beginnen sie, keine Waffen ergreifen sie; verschlossen ist jedes Eisen;
- Friede und Ruhe sind dann allein bekannt, sind dann allein geliebt, bis die des Umgangs mit den Sterblichen satte Göttin der nämliche Priester dem Heiligtume zurückgibt. Hierauf wird der Wagen nebst den Gewändern, und, wenn man glauben will, das Gotteswesen selbst in geheimem Teiche gebadet. Sklaven sind da die Diener, welche sogleich der nämliche See verschlingt. Daher geheimnisvoller Schauer und heiligfromme Unwissenheit, was jenes Wesen sei, das nur dem Untergang Geweihte sehen.“ - Tacitus (Germ. 40)
Kultus[]
Nerthus war eine chthonische Gottheit, deren Kult aus dem Vegetationsritual herauswuchs. In ihrem Kult wurde das Wiedererwachen der Mutter Erde gefeiert. Ob dabei auch eine männliche Gottheit mit im Spiel und die Kulthandlung von Fruchbarkeitsriten begleitet wurde, geht aus dem Zeugnis des Tacitus nicht hervor, der parallele Freykult in Uppsala macht es aber wahrscheinlich. Daher mag das Waschen des Götterbildes ein Reinigungsakt gewesen sein, wie er sonst nach Vollziehung des ehelichen Beilagers stattzufinden pflegte, vielleicht verbunden mit altem Regenzauber, der Dürre abhalten sollte, wie auch das Ertränken der Sklaven ein prophylaktisches Opfer gegen Misswachs war.
Auch nach Kärnten soll während der Völkerwanderung der Nerthuskult gekommen sein und hier in Sitte und Brauch, wie er sich besonders bei der Flachsernte zeigt, fortleben [5]). Nur finden sich, abgesehen von den Menschenopfern, bei Tacitus die Riten nicht erwähnt, die Graber anführt. Ein innerer Zusammenhang zwischen diesen und dem Nerthuskult mag darin bestanden haben, dass beide in altgermanischen Fruchtbarkeitsriten wurzeln, wie auch das Frautrag'n im Salzburger Land [6], das ebenfalls Übereinstimmung mit dem Nerthuskult zeigt.
Quellen[]
- Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 1. Auflage, 4 Bände. Johannes Hoops. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. III, S. 308 f.
- Tacitus, De origine et situ Germanorum (Germania). Übersetzung "Die Germania des Tacitus". Anton Baumstark: Freiburg 1876. Digitalisat auf Wikisource. Kap. 40.
Einzelnachweise[]
- ↑ Pierer's Universal-Lexikon (auf Zeno.Org). 4. Auflage 1857-1865. Altenburg, 1860. Bd. 11, S. 791 (Nerthus).
- ↑ Wörterbuch der Mythologie (auf Zeno.Org). Wilhelm Vollmer. Stuttgart, 1874. S. 346 (Nerthus).
- ↑ Meyers Großes Konversations-Lexikon (auf Zeno.Org). 6. Auflage. Leipzig, 1905–1909. Bd. 14, S. 521 (Nerthus).
- ↑ Nordische Altertumskunde (Internet Archive). Sophus Müller. Übersetzung. V. Jiriczek. 2 Bände. K.J. Trübner Verlag, Straßburg 1897-98. Bd. II, S. 48
- ↑ Graber, Zeitschrift für österreichische Volkskunde. Ausgabe 17, S. 203 ff.
- ↑ Marie Andree-Eysn, Volkskundliches aus dem bayrisch-österreichischem Alpengebiet. S. 73 ff.