Der Reiterspieß, oder auch Reisspieß, gehört zur Bewaffnung der Reiterei. Er zählt zu den Stangenwaffen und wird als Begrifflichkeit synonym zur Lanze gebraucht (ausführlicher Artikel siehe dort).
Beschreibung[]
Der Reiterspieß machte sich in Mitteleuropa zuerst bei den Waffen des Frühmittelalters geltend. Mitgebracht hatten ihn im 5. Jh. die Reitervölker, die aus dem Orient nach Europa eingebrochenen waren, und seine Bedeutung für den ersten Anstoß an den Feind wuchs mit ungemeiner Raschheit.
Es ist bezeichnend, dass auch der Wurfspieß der Reiter und sein Gebrauch auf orientalischen Ursprung zurückweist. Wenn wir z. B. die Schilderung des Prokop von Caesarea über die Schlacht bei Busta Gallorum im Jahre 552 lesen, bei welcher Totilas, der König der Goten, dem Feinde seine Künste im Spießwerfen zeigte, so weist dies auf speziell orientalische Kriegsübungen, die sich bei den Arabern und Indern noch bis ans Ende des 19. Jhs. erhielten.
Arten[]
Unterarten dieser Waffe, die teilweise auch synonym gebraucht werden, sind u.a. [1]:
Name | Kurzbeschreibung |
---|---|
Lanze (Synonym) | Synonym zum Reiterspieß. |
Copie | Orientalischer Reiterspieß, ab dem 15. Jh. im Osmanischen Reich wiederbelebt. |
Reisspieß | Ein Reiterspieß. |
Reisspieß[]
Im 14. Jh. erscheint der gemeine Reisspieß, d. h. der „Spieß des Reisigen“ (des Reiters), unter den Formen der leichten Spießeisen. Er wurde in deutschen Ländern auch „Schürzer" genannt und unterscheidet sich durch seine größere Länge vom kürzeren knechtischen Spieß, d. h. dem Spieß des Fußknechtes, später des Landsknechts und Pikeniers. [2] Reisspieße besaßen eine durchschnittliche Länge von 3,50 m. Ihre charakteristische Form erhielten sie durch die Schwächung in der Handlage, die durch die Stärke des Hinterschaftes notwendig wurde.
Im 15. Jh., in dessen Laufe die Stärke der Reisspieße stetig zugenommen hatte, trat, veranlasst durch die Zunahme ihres Gewichtes, eine Reaktion ein; der Spießschaft wurde zwar am Durchmesser nicht geringer gebildet, er erhielt aber Kanälierungen von zuweilen bedeutender Tiefe; dadurch wurde er auch für das Auge gefälliger. Am Ende des 15. Jhs. wurde es dann Sitte, das Reisspießeisen an seinem unteren Ende mit einem Fuchsschweif zu verzieren. Wir sehen diese Mode z.B. in Albrecht Dürers Reiterstudie von 1498, dann dem schönen Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel" von 1513 [3], wie auch in den für die Kunde des Waffenwesens jener Zeit außerordentlich wichtigen Zeugbüchern Maximilians I..
Kommt der Reisspieß im 15. Jh. häufiger ohne Brechscheibe vor, so finden wir ihn mit solcher in der Ritterschaft wie bei den Kürissern des 16. Jhs. fast ausnahmslos und zuweilen selbst an Fahnen und Fähnleinschäften. Gegen das Ende des 16. Jhs., jener Epoche, in welcher die Erfahrungen in den Kriegen der Niederlande sich überall geltend machten, verlor der Reisspieß mehr und mehr an Bedeutung.
Schon in der ersten Hälfte des 16. Jhs. verminderten sich die Kürisser, welche noch den Reisspieß führten, in den Heeren allmählich. Bald erschienen die Kürassiere zu schwerfällig, und zur Förderung ihter Beweglichkeit entledigte man sie des schweren Reisspießes. Nur bei den Ungarn und Polen, die nach den Traditionen des Orients wie im gesamten Leben auch in der Kriegskunst stets konservativ erscheinen, blieb die leichte orientalische Lanze unter der, fachlich genommen, unrichtigen Bezeichnung Pike bis ins 18. Jh. bei den Polen selbst bis zur Gegenwart eine beliebte Reiterwaffe.
Stahlkugeln und Eisenbänder[]
Beim Angriff wurde der Reisspieß in horizontale Lage gebracht und derart auf den Rüsthaken des Harnisches gelegt, dass dieser in den schwächeren Teil des Schaftes (der Handlage) zunächst hinter der Hand des Reiters zu stehen kam. Diese Position hatte ihre Nachteile darin, dass bei einem ausgeführten Stoß die Spießstange zurückprallte und dem Reisigen die Faust zwischen der Einkerbung des Handgriffes oder der Brechscheibe und dem eigenen Rüsthaken einquetschte; dabei wurde nicht selten die Stange aus dem Haken ausgehoben.
Um dieses zu verhindern, wurde der Handgriff mit einem breiten Ring umgeben, der aus 4-5 Reihen von durchlöcherten Stahlkugeln bestand, die auf Draht geheftet waren. Der Rüsthaken erhielt eine Umhüllung aus weichem Holz oder Blei. Beim Gebrauch ergriff der Reisige den Ring mit der Faust und legte die Stange derart ein, dass der Rüsthaken knapp hinter dem Ring saß. Beim Stoße drückten sich die Stahlkugeln fest in die Umhüllung des Hakens ein und bildeten mit dieser einen Körper.
Allerdings taucht die Beschreibung solcher Ringe mit Stahlkugeln nur in zwei anonymen Manuskripten aus Frankreich auf [4]. Obwohl diese Einrichtung zwar logisch erscheint, ist kein Exemplar eines derartigen Ringes erhalten geblieben; auch in der deutschen Literatur der Zeit verlautet nichts darüber. Es scheint demnach, dass dieselbe nur in Frankreich gebräuchlich war und dass man das Rückprallen der Stange in Deutschland durch eiserne Bandringe zu verhindern suchte.
Galerie[]
Quellen[]
- Boeheim, Wendelin. Handbuch der Waffenkunde: Das Waffenwesen in seiner historischen Entwicklung (Internet Archive). Leipzig, E.A. Seemann : 1890. Neuauflage UNIKUM (22. Februar 2013). ISBN 3845726032. S. 305.
- Demmin, Augustec. Die Kriegswaffen in ihren geschichtlichen Entwickelungen von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart (Internet Archive). Leipzig : P. Friesehahn, 1893. Classic Reprint: Forgotten Books (31. Oktober 2018). ISBN 0365623105. S. 775.
Einzelnachweise[]
- ↑ Pierer's Universal-Lexikon, Band 16 (Zeno.Org). Altenburg 1863, S. 552.
- ↑ Meyers Großes Konversations-Lexikon (auf Zeno.Org). 6. Auflage. Leipzig, 1905–1909. Bd. 16, S. 771 (Reißspieß).
- ↑ Wikipedia: Ritter, Tod und Teufel
- ↑ Belleval, M. R., Du costume militaire des Francais en 1446. Noten 58 (Bibliothèque nationale de France) bis 63 (Sammlung Mr. Belleval)