Mittelalter Wiki
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Der Seelenglauben und der damit eng verbundene Ahnenkult sind feste Bestandteile des altgermanischen Volksglaubens. Er wurzelt in der Beobachtung des Sterbens und im Traumleben und beeinflusste mit seinen Wiedergängern und Spukgestalten, mit seiner Seelenfauna, seinen Quäl- und Schutzgeistern das ganze Gebiet des Aberglaubens.

Beschreibung[]

Die Germanen hatten ursprünglich keinen eigentlichen Seelenglauben, d. h. den Glauben an die Seele als ein besonderes, zum Körper im Gegensatz stehendes Wesen, das frei und unsterblich ist. Dieser platonische Seelenbegriff kam erst mit dem Christentum zu den Germanen. Jene Wesen, die man als Seelengestalten auffasste waren entweder menschliche Zauberwandler oder mythische Totenwandler, und die Quellen lassen es zuweilen unentschieden, ob man es mit diesen oder jenen zu tun hat.

Gestaltwandlung[]

Seelenglaube war bei den Germanen hauptsächlich ein Verwandlungsglaube. Nach ihm besaßen gewisse Menschen, besonders Zauberer, die Macht, im Schlaf oder in Ekstase aus ihrem Körper, 'aus der Haut' zu fahren und andere Gestalt annehmen zu können. Ein solcher Mensch hieß eigi einhamr - 'mehrgestaltig' oder hamrammr - 'stark im Gestaltenwechsel'. Der Körper, in dem sich der Mensch sonst zeigte (lík-hamr), war also nur die eine Hülle, in der er gewöhnlich lebte.

Das Verlassen dieses Körpers hieß skipta oder vixla hömum oder hamask - 'die Gestalt wechseln, verändern', der Übergang in die andere Gestalt war das hamfar. Dann konnte der Mensch alle möglichen Gestalten annehmen (arnarham, valsham, alptarham, ormsham, ulfsham usw.). In dieser Gestalt hieß er hamingja oder hamhleypa, was namentlich von weiblichen, aber auch von männlichen Gestaltentauschern gebraucht wird. In diesem Verwandlungsglauben wurzelt auch der Alp-, Alfen-, Werwolfs-, Fylgjen- und Walkürenglaube.

Ging der Mensch wandeln, so versetzte er sich in Ekstase oder verfiel in Schlaf, dass sein Körper wie tot lag; es durfte dann laut der Egils saga niemand mit ihm etwas zu tun. Was die Heimskringla von Odin sagt, war allgemeiner Volksglaube: „Er wechselte die Gestalt, und während der Körper wie im Schlaf oder Tod dalag, war er bald Vogel, bald Tier, Fisch oder Schlange, und er war in einem Augenblick in fernliegenden Ländern, um für sich oder andere Wesen dies oder jenes zu verrichten." Ganz ähnlich verließ gemäß Paulus Diaconus auch der fränkische König Guntram I. (um 532-592) während des Schlafs in Schlangengestalt seinen Körper und fand so in einem Berge einen Schatz.

Zerstörung der Wandelgestalt[]

Der Gestalt-wandelnde Mensch war immer an seinen Körper gebunden und musste in diesen zurückkehren. Geschah mit der Wandelgestalt etwas, so wirkte dies in gleicher Weise auch auf den eigentlichen Körper. So berichtet die Frithjofssage, wie der Held Fridthjof den Walfisch tötete, der durch Erregung des Sturms den Untergang seines Schiffs herbeiführen sollte und er so zugleich den beiden Zauberweibern den Rücken brach, die in diesem Seetier steckten. Und in der Helgakvidha Hjörvardhssonar tötete Atli zugleich den Jarl Franmar, als dieser sich in Vogelsgestalt gehüllt hatte

Aus diesem Vorstellungskreise erklärt sich auch der über den ganzen Erdkreis verbreitete Bildzauber, der sich bei den germanischen Völkern bis in die Neuzeit erhielt. Im Bilde oder der plastischen Nachahmung einer Person wähnte man ihr zweites Ich. Was man mit dem Bilde vornahm, das, glaubte man, geschehe auch dem Körper der betreffenden Person.

Wiedergänger[]

Im Seelenglauben setzte der Mensch sein Leben nach dem Tode fort und auch dann besaß er noch die Macht des Gestaltenwandels und zwar in erhöhtem Maße. Er erschien dann als Draugr oder Troll, mal in menschlicher, aber meist außergewöhnlich großer, mal in tierischer Gestalt. Aber auch dann knüpfte sich der Ausgangspunkt des wandelnden Wesens an seinen menschlichen Körper; wo dieser unter der Erde lag, zeigte sich die Erscheinung, und wenn er ausgegraben wurde, war er unverwest. Erst mit vollständiger Vernichtung des Körpers glaubte man auch das Wandelwesen zu vernichten... zum Hauptartikel.

Dämonenglauben[]

Der Seelenglauben nahm vielfach den Dämonenglauben in sich auf, und nun hausten die Seelen der Verstorbene dort, wo einst Dämonen herrschten. Aufgrund der Vermischung der beiden Erscheinungsformen ist es zuweilen unmöglich festzustellen, ob es sich in diesem oder jenem Aberglauben um Reste des Dämonen- oder Seelenglaubens handelt.

Zugleich finden sich im Rahmen dieser Tradition unzählige Sitten und Gebräuche, die sich teils an den Tod eines Mitmenschen knüpfen, teils in Zeiten geübt wurden, die man besonders als Zeiten der Wiederkehr der abgeschiedenen Seelen auffasste. Aus den meisten sprach die Furcht, die man vor der Wiederkehr der Seele hatte und die zum großen Teil diesen Glauben bedingte.

Baumkult[]

Als Sitz der Seelen von Verstorbenen galte besonders Bäume. In dieser Art des Seelenglaubens wurzelt vor allem der Baumkult, der seit dem 5. Jhd. in den Quellen begegnet. Nach weitverbreitetem Volksglauben wohnt in jedem Baum eine 'arme Seele'; die Seele Verstorbener geht oft in den Baum über. Wer daher einen Baum verletzt oder fällt, verletzt oder tötet eine Seele. Und wie man sich die Seele nur körperlich vorstellen konnte, so konnte die Baumseele auch bluten, und es entstand der Glaube, dass verletzte Bäume bluten.

Um die Baumseele oder den elfischen Geist oder die Gottheit, mit der man in spätheidnischer Zeit vielfach den Baum in Zusammenhang brachte, gewogen zu stimmen, hing man Spenden (Blumen, Bänder, Bilder und dgl.) am Baum auf, wie einst an den heiligen Bäumen von Upsala die Körper der geopferten Menschen und Tiere (Adam von Bremen, IV 27).

Weissagung[]

Im Seelenglauben verwurzelt war die Vorstellung von der prophetischen Natur der Geister von Verstorbenen und ihrer Fähigkeit zur Weissagung. So trat man denn auch durchaus mit den Geistern an den Gräbern der Toten oder wo man sie sonst wähnte, in Verbindung. In den isländischen Sagas (z.B. der Fornmanna-Sögur oder der Örvar-Odds saga) erscheint diese Handlung als ganga til fréttar, und hieraus erklären sich auch die frühmittelalterlichen Verbote (z.B. von Bischof Burchard von Worms, um 965-1025) gegen solche Totenbeschwörungsformeln.

Dieser Verkehr mit den Geistern, um die Zukunft zu erfahren, lebte in allen germanischen Ländern bis in die Neuzeit fort Besonders Kreuzwege (bivia) und einsame Orte waren dazu geeignet. Auch auf dem Hausdach verkehrte man mit den Geistern, und nicht selten gebrauchte man das magische Fell. Dabei bediente man sich des Zaubers, um die Geister zu bannen und sie durch ihn zur Aussage zu zwingen.

Auch in der Dichtung ist dies Wecken der Toten verwertet worden. So ruft z.B. Odin im Vegtamskvidha (Baldrs draumar) durch seinen Zauber die Völve, um sich Baldurs Träume deuten zu lassen. Im Grógaldr ruft Svipdagr seine Mutter, um sein Geschick zu erfahren, im Hyndluliodh ist es Freyja die Hyndla bittet, sich die Ahnenreihe ihres Schützlings künden zu lassen.

Als Zeit dieser Weissagung galt vor allem die Winternacht, die Zugzeit der Toten. Daher zogen in diesen Tagen im Norden die Völven von Gehöft zu Gehöft und kündeten den Leuten die Zukunft. Ausgerüstet mit dem nötigen Zauberhandwerk (tǫfr), den Zauberstab in der Hand, zuweilen in sonderbarem Aufputz, begleitet von Knaben und Mädchen (je 15 nennt der Örvar-Odds saga), setzten sich auf den Zaubersessel (seiðhjallr), nahmen die Zauberhandlung vor und ließen von ihren Begleiterinnen die Zauberlieder singen, die varðlokur, d. h. das Lied, das die Geister einschließt und festhält und wodurch der Zauber gefördert wurde. Dann kündeten sie jedem der Anwesenden die Zukunft oder Ereignisse, die sich in der Ferne zutrugen. [1]

Verwandte Themen[]

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Quellen[]

Einzelnachweise[]

  1. Hoops. RdgA. aaO. Bd. IV, S. 503 f. (Art. Weissagung)