Das Staatswesen in Skandinavien entwickelte sich in Dänemark, Norwegen und Schweden anfangs sehr unterschiedlich. So zeigten die skandinavischen Völker bei ihrem Auftreten in der Geschichtsschreibung verschiedene Formen politischer Gliederung.
Beschreibung[]
Norwegen gliederte sich um 1120 in mehr als 25 politisch selbstständige Völkerschaften (anord. fylki), die den lat. civitates des Tacitus entsprachen, mit entsprechenden „Volkslanden", von denen einige schon Jordanes (6. Jh.) bekannt sind.
In Schweden traten die bereits im 2. Jh. von dem griechischen Geografen Claudius Ptolemäus erwähnten Stämme der Svear und der Götar hervor, die sich ihrerseits wiederum in eine Reihe von selbständigen „Volklanden" (folkland) gliederten. Dänemark setzte sich aus drei Ländern zusammen: Jütland, Schonen und Seeland, von denen das erste von dem Volk der Jüten, die beiden andern von den Dänen im engeren Sinne eingenommen wurden.
Völkerschaften[]
Die Begriffe anord. Fylki, Folkland und Land entsprechen den lat. civitas ('Völkerschaften'), die, wenn sie groß genug sind, in Hundertschaften (schw. hundari, hæraþ; dän. hæræth; norw. héraþ) unterteilt sind. Dabei meint "Hundertschaft" die Verwaltungseinheit eines Stammes, nicht das Gebiet von 100 Hufen oder die Gruppen von 100 Menschen - Sondern einzelne verschieden große Wanderhaufen und Ansiedlungsgebiete. Beim "Volk", wie bei den Hundertschaften, sind verwandtschaftliche Beziehungen die gemeinsame Basis. Bei den Hundertschaften ist diese allerdings nur noch in oft weitreichender Ahnenverehrung und gemeinsamer Stammessage erkennbar.
Volk und Hundertschaft waren ursprünglich also persönliche Sippenverbände, die im Zuge ihrer Ansiedlung territorialisiert wurden. Schon früh vereinten sich in Schweden die Völkerschaften zu den Reichen der Svear und der Götar. In Norwegen vereinte sich ein Teil der Völker zu vier Thing- oder Gesetzsprecher-Verbänden: Frostuthinglög, Gulathingslög, Eidhsifathingslög und Borgarthingslög. Die Grundlage der Rechtssprechung war die Lögsaga durch einen Gesetzessprecher, parallel zu der in Schweden ausgeübten Lagsagha (Gesetzesvortrag, Gerichtsbezirk).
Staatsentwicklung[]
An der Spitze der einzelnen Volklande standen sog. Kleinkönige (Volkskönige, Heradskönige oder Jarle; s.a. Königtum in Nordeuropa), die nach germanischer Art Volksbeamte waren. Die Staatsleitung lag in der Hand des Volkes als Träger der Souveränität; von diesem wurde sie in demokratischer Form in den Versammlungen und durch wenige Beamte ausgeübt.
Wiederholt wurden einzelne Völkerschaften zu größeren Reichen zusammengefaßt, wenn z.B. die einst selbständigen Kleinkönigreiche unter von einem Oberkönig (anorw. yfirkonungr) vereinigt wurden. Diese Verhältnisse wirkten auch noch nach, nachdem Norwegen im Jahre 872 durch Haraldr harfagri zum Einheitsreich (anorw. einvaldsriki, einvald) zusammengeschweißt wurde, in der Mitte des 9. Jhd. der schwedische König Erik Emundsson alle Schweden mit Ausnahme des erst ca. 1000 zum Reich gekommenen Gotland unter seiner Herrschaft, und Gorm der Alte etwa 100 Jahre später Jüten und Dänen zum Dänenreich vereint hatten.
Die Entwicklung hatte zum Ziel, alle Volksbeamten durch königliche Beamte zu ersetzen, und die alten selbständigen Gebiete zu Verwaltungsbezirken des Königreiches umzuwandeln. Auch eine Straffung der Verfassung und Verwaltung durch die Einführung von Mittelbezirken und weitere Teilung der bisherigen Unterbezirke gingen damit einher. Die skandinavischen Staaten des 11.—13. Jh., die in den literarischen Quellen auftauchen, befinden sich in verschiedenen Stadien dieser Entwicklung, wobei Norwegen den ostnordischen Ländern vorauseilte.
Verwaltungseinheiten[]
In Schweden und Dänemark bildet noch bis ins Mittelalter hinein die Hundertschaft (später neben der ihr gleichgestellten Stadt) die organisatorische Einheit für Verfassung, Verwaltung und Jurisdiktion. Das Volk selbst übte diese im Wesentlichen aus, wenngleich das Königtum im Beamtenwesen verschiedene Veränderungen bewirkte.
Höhere Verwaltungseinheiten bildeten in Schweden das Folkland oder die Landschaft (s. Gesetzessprecher). Der schwedische "Bo" diente fiskalischen Zwecken. Die schwedische Hundertschaft gliederte sich nach unten hin mal in Viertel (anord. fiarþunger), mal auch in Drittel (anord. þriþiunger) oder Achtel (aschw. áttunger).
In Dänemark waren die Verwaltungseinheiten das Land, das sich im Folklandsthing und Landsthing äußerlich zeigte (s. Versammlungen). Zwischen Land und haeraeth schob sich in Jütland die Syssel (anord. syssel, syslae, sylae; s. Syslumaðr) ein. Nach unten zerfiel das jütische Haeraeth in Viertel (anord. fiarþung, fiarthung). Eine gotländische Besonderheit war die Einteilung des ganzen Landes in Drittel (anord. þriþiunger), dieser in Sechstel (adän. siattunger), von denen jedes mehrere Hundertschaften umfaßte. Das Küstenland Roþin war nur in Schiffsbezirke eingeteilt. Die Sysseleinteilung in Jütland, die sich mit den Harden sich überschneidet, ist jüngeren Ursprungs.
In Norwegen löste sich die Hundertschaftsverfassung schon im 12. Jh. auf. Hier gliederten sich die Volklande mal in Hälften (anord. halfur), bald in Drittel (anord. þriþiunger) und mal in Viertel (anorw. fiórðungr), diese wieder teilten sich wiederum in Sechstel (anorw. sóttungr) und Achtel (anorw. áttungr). Auf dieser Grundlage bilden sich dann später in den Sysseln (s. Syslumaðr) Amtsbezirke aus, darüber die Schatzmeistereien (anorw. féhirðslur) für finanzielle Zwecke.
Die alten Gesetzsprecherbezirke wurden zu neuen Verwaltungseinheiten umgebildet, die sich über das ganze Reich ausgedehnten (lǫgsaga, lǫgmannsumdæmi). Für die Schiffsbezirke siehe Artikel Schiffbaupflicht; sonstige Ausrüstungsbezirke führte die Heerverfassung ein.
Volksversammlungen[]
Auch wenn die Verwaltungseinheiten nach unten reformiert wurden, so wurde nach oben hin keine den Landesgemeinden parallele Reichsgemeinde geschaffen. Nur der norwegische Eyrathing ähnelt dem entfernt. Die Verschmelzung der früheren Teile zu einem Reich (schw. ríki, kunungs ríki) erfolgte nicht einer Volksversammlung, sondern eben nur im Königtum, das bei den Ost- und Westskandinaven sehr verschieden entwickelt war.
Daneben fand die Versammlung allerdings Ausdruck in einigem Zusammenstehen nach außen und teilweiser Gleichstellung aller Reichsbewohner nach innen. Da der König nun kein Beamter des Volkes mehr war, sondern trotz mancher Beschränkung ein Herrscher, so traten neue Zentralbeamte auf. Doch blieben nach wie vor insbesondere in Schweden die Versammlungen des Volkes ein bedeutendes Organ der Verfassung, zumal für die Gesetzgebung und Rechtsprechung. Die immer weitere Zurückdrängung des Volkes führte zur Ausbildung von Reichsräten und noch später Reichstagen.
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Wenig bekannt ist über die Verfassung der norwegischen Schatzlande Schottland (anord. skattlǫnd), Finnmark (anord. Finnmǫrk), Orkney (Orkneyjar), Hebriden (Sudreyjar), Färöer (Färeyjar) und Grönland. Die Finnmark entbehrte überhaupt einer politischen Gliederung, wenngleich sie nach der Eigla als anord. konungssysla bezeichnet wird und die "Finnfahrt" (s. Finanzwesen) verliehen wird.
Die Orkneyinseln unterstanden einem von Norwegen abhängigen Jarl und Sysselmann, die Hebriden (Sudreyjar) kurze Zeit ebenfalls einem Jarl, dann Norwegen schatzpflichtigen Königen, während sich auf den Färöer ein Lagmann ('Gesetzessprecher', anord. lǫgmaðr) und Sysselmann finden. Grönland bildete bis 1261 einen dem isländischen Vorbild nachgebildeten Freistaat.
Verwandte Themen[]
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Quellen[]
- Nordgermanisches Obligationenrecht (Open Library). Karl Von Amira. Leipzig, Veit & comp., 1882 u. 1895. Bd. I, S. 16 ff. Bd. II, S. 24 ff., S. 37 ff.
- Vorlesungen über altnordische Rechtsgeschichte (Google Books). Konrad Maurer. 1907. Bd. I.
- Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 4 Bände (1. Aufl.). Johannes Hoops. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. IV, S. 226 ff. (§ 57 ff. Art. Staatswesen)