Mittelalter Wiki
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Ein Thing (anord.) oder auch Ding (ahd., nhd.) war die Volksversammlung der alten skandinavischen und germanischen Völker. Das Thing wurde unter freiem Himmel gehalten. Als Thingplatz (Thingstätte) wählte man gewöhnlich Hügel oder heilige Bäume. In der Mitte lag ein Stein (Thingstein), worauf die Fürsten ihren Sitz hatten.

Die Männer gingen bewaffnet zum Thing. Zur Hauptversammlung (Echtething) kamen alle Freien (Thingmannen), beim Nachthing nur die Beteiligten. Außerordentliche Versammlungen (Botthinge) wurden angesagt. Diejenigen, die bei Verhandlungen über Eigentum und Besitz zugegen waren, und die Richter erhielten einen freien Trunk (Bot-, Boten-, Bodenwein).

Beschreibung[]

Im Laufe des Mittelalters wandelte sich der Thing zur Gerichtsversammlung. Der Ort, wo er gehalten wurde, hieß Thingstuhl (Thingbank), die Sammlung der Gesetze, nach denen Recht gesprochen wurden hießen Thingrotul. Berühmt war z.B. der Landthing zu Mühlhausen, den die Landgrafen von Thüringen hielten, u. m. a., wo gewöhnlich Rolandsäulen standen. Eine Gerichtsstelle über Erbzinsverhältnisse (Emphyteuse) hieß Thinghof (Hubengericht), der Herr eines solchen, Thinghofsherr, der unter Beisitz der Thinghofsleute (Hubner), d.h Besitzer von Erbgütern (Thinggüter), selbst Gericht hielt. Ließ er sie durch einen Beamten (Thingvogt) halten, so hieß es ein Vogtthing.

Der einem Thingstuhl Unterworfene hieß Thingstellig oder Thingpflichtig, eben so die vor den Thing gehörige Klagsache thingstellige Sache. Der dem Gericht Entflohene hieß Thingflüchtig. Der Thing wurde vor der Hegung (Haltung) erst ausgelegt, d.h. angesetzt, bestimmt. Den Thingstühlen stand Unverletzlichkeit (Thingfriede) zu. An solchen Thingstühlen wurden später Dörfer erbaut und die Gerichte blieben hier, daher Thinggericht, so v.w. Dorfgericht.

Begriffe[]

Das ahd. ding, langobardisch. thinx, ags. þing, aus vorgerman. *tenkos (tempus) hatte die Grundbedeutung 'Termin'. Es bezeichnete jede öffentliche Versammlung und insbesondere die (zu bestimmten Terminen stattfindende) Gerichtsversammlung. Andere bei den Südgermanen für beide Arten von Versammlungen übliche Bezeichnungen sind germ. maþla-, got. maþl, ahd. madal, ags. maepl, as. mahal, frankolat. mallus, mit dem got. Verbum maþljan - 'sprechen' zusammenhängend. Daher auch die Bedeutung = 'Sprache, Besprechung', wie das ahd. sprácha ebenso im Sinne von 'Gericht' gebraucht wird und noch im Mittelalter von 'Morgensprache, Bauern Sprache' u.ä. die Rede ist.

Die Angelsachsen verwenden das Wort gemót wie für Staatsversammlung, so für jedes weltliche Gericht im Gegensatz zur kirchlichen Versammlung. Unsicher ist die Bedeutung von fries. warf, as. hwarf [1], ein wahrscheinlich auch bei den Langobarden und Baiern bekannter Ausdruck. Das jüngere deutsche Wort 'Gericht' (ahd. gerihti) bedeutete ursprünglich Rechtsprechung, eine "Richtung des aus der Reihe geratenen Rechtsverhältnisses". Erst im Mittelalter wurde es zur Bezeichnung der Gerichtsversammlung oder der Gerichtsstätte verwendet.

Gerichtsstätte[]

Die Germanen hielten ihre Gerichte unter freiem Himmel, die großen Volksversammlungen meistens auf weiten Ebenen, die kleineren mit besonderer Vorliebe auf Bergen und Hügeln (daher bei den Franken der Ausdruck malloberg), häufig unter Bäumen, bei großen Steinen; aber auch in Wäldern und Hainen. Für die Wahl des Ortes fiel bestimmend ins Gewicht, dass man Gericht und Gerichtsstätte den Göttern weihte, um sie unter deren Schutz zu stellen. Deshalb wurden die Gerichtsversammlungen gern an Kultstätten abgehalten. Als eigener Gott der Thingversammlung wurde der Kriegsgott Ziu (Tiu) verehrt.

An der alten Sitte, unter freiem Himmel Recht zu sprechen, wurde bis ins Frühmittelalter hinein festgehalten. Allerdings tagte das Hauptgericht in Kent bereits im 7. Jhd. zu London im Königssaal. Die von den Karolingern erlassenen Gebote, die Gerichte zum besseren Schutz der Versammelten in Häuser zu verlegen, hatten dagegen keine große Wirkung. Erst im Mittelalter verlegte man in den Städten die Gerichte in die Zunft- oder Rathäuser oder auch auch in eigene Gerichtsgebäude.

Aber der häufige Brauch, nicht in geschlossenen Zimmern, sondern in offenen Hallen (Gerichtslauben) zu tagen oder wenigstens Fenster und Türen der Gerichtssäle zu öffnen, erinnerte noch lange an den alten Zustand; auf dem Lande, in den Dörfern, in Burgen, auch in manchen Städten lebte diese Sitte aber auch das ganze Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit fort. Andrerseits wurden in England die Gerichte, die der Grundherr für seine Hintersassen am Burgtor hielt, schon früh in die Halle seines Schlosses verlegt; daher der seit dem 11. Jhd. bezeugte Ausdruck Hallengericht (halimot) für das Gutshofgericht.

Gerichtszeit[]

Der ursprünglich sakrale Charakter der germanischen Gerichtsverfassung trat auch in der Wahl der Gerichtszeit zutage. Die Gerichte wurden zu hergebrachten Terminen und zwar, wie es scheint, vielfach im Anschluss an heidnische Opfertage abgehalten, z.B. zu Walpurgis. Man hielt Gericht stets nur bei Tage (daher der Ausdruck tagadinc für Gericht) und zwar mit Vorliebe an solchen Tagen, auf die ein Vollmond oder Neumond folgte, weil sie für besonders günstig galten.

Dieses zu den feststehenden Zeiten stattfindende Gericht heißt in den deutschen mittelalterlichen Quellen „echtes Ding“ (in Friesland, Holstein, Altmark auch lutthing = 'Leuteding', in Holland lotting). Die Franken bezeichneten es als mallus legitimus. An ihm war jeder Dingpflichtige auch ohne besondere Ladung zu erscheinen verpflichtet. Mit dem Begriff des echten Dinges war es nicht unvereinbar, dass, obwohl der Termin feststand, die Dingleute durch besondere Ankündigungen, z.B. einen herumgesendeten Stab, entboten wurden.

Ob in germanischer Zeit neben diesen echten Dingen auch schon Gerichte bekannt waren, die außerhalb der herkömmlichen Zeiten angesetzt wurden und zu denen stets besonders geladen werden musste, ist zweifelhaft. Bei den Franken gelangte die Unterscheidung von echten und gebotenen Dingen zu allgemeiner Durchführung. Die echten Dinge fanden bei ihnen in den einzelnen Grafschaften nach je 40 Nächten oder alle 6 Wochen statt, also acht- bis neunmal im Jahre. Die Zahl der auf die einzelnen Hundertschaften fallenden Dinge richtete sich danach, in wieviel Hundertschaften die Grafschaft eingeteilt war; wenn, wie meist, in vier, so kamen auf die Hundertschaft zwei jährliche echte Dinge.

Karl der Große verordnete, dass in der Hundertschaft höchstens drei echte Dinge im Jahr abgehalten werden dürften. Die gebotenen Dinge wurden nach Bedürfnis, in der Regel alle 14 Nächte, berufen. Auch bei den Sachsen beruhte nachmals die Gerichtsverfassung auf der Unterscheidung zwischen echten und gebotenen Dingen. Dagegen fehlte sie bei Baiern und Alemannen. Bei den Baiern wurde alle Monate, bei Bedürfnis alle 14 Tage, bei den Alemannen alle 14 Tage, bei Bedürfnis alle 8 Tage Gericht gehalten.

Ebenso wurde bei den Angelsachsen nichts von jener Unterscheidung berichtet. Einigen Rechten waren Gerichte bekannt, auf denen die in den echten Dingen nicht erledigten Sachen zu Ende gebracht wurden, sogenannte After- oder Nachdinge. die sich im Mittelalter bei Sachsen und Friesen fanden. Bei den Saliern erübrigte sich die Ansetzung solcher Dinge wegen der stets notwendigen dreitägigen Dauer des echten Dings.

Das sog. Notgericht bzw. der Notding war ein über dem auf handhafter Tat ertappten Verbrecher am Ort der Tat abgehaltenes Gericht, zu dem jeder Dingpflichtige herbeieilen muss, der das Gerüfte vernimmt (s. Handhafte Tat). Derartige Notgerichte waren schon der germanischen Zeit bekannt und auch im fränkischen Recht sind sie schon früh bezeugt.

Einhegung[]

Die Gerichtsversammlung wurde wie jede Volksversammlung in feierlicher, rechtsförmlicher Weise durch die Einhegung des Dinges, einen ursprünglich sakralen Akt, eröffnet. Die Hegung bestand teils in der räumlichen Einfriedigung, Umhegung des Thingplatzes, die dadurch geschah, dass Pfähle, Pflöcke und mit Vorliebe Haselstangen, in den Boden eingelassen und mit Seilen verbunden wurden; daher 'das Ding spannen, hegen'. Anderen Teils gehörten zur Hegung rechtsförmliche Erklärungen, insbesondere die in hohes Altertum hinaufreichenden drei Hegungsfragen ('ob es Dinges Zeit und Ort sei, ob das Ding gehörig besetzt oder gehegt sei, ob dem Ding Friede gewirkt werden solle').

Diese Fragen wurden vom vorsitzenden Richter gestellt; vielleicht richtete er sie ursprünglich an den oder die im Ding anwesenden Priester, die daraufhin die Götter um ihren Willen befragten. Später wurden sie dem Dingvolk oder dem Unterrichter (Zentenar, Schultheißen) oder dem Fronboten vorgelegt. Nach günstiger Beantwortung wurde der Dingfrieden bzw. Thingfrieden verkündet, der das Gericht heiligen und unter göttlichen Schutz stellen sollte. Nach Tacitus geschah es durch den Priester, nach den jüngeren Quellen durch den Vorsitzenden Richter; vielleicht nahm der Priester stets in der Landesgemeinde und der Richter von jeher in den eigentlichen Gerichtsversammlungen die Handlung vor.

Das Friedewirken, bei dem der Richter den Richterstab erhob, war mit einem Gebot des Stillschweigens verbunden (es wurde 'Lust' geboten und 'Unlust' verboten). Weitverbreitet war für die Verkündung des Dingfriedens der Ausdruck 'das Gericht bannen'. Das Wort Bann, nach Einigen = 'feierliche Rede', scheint in seiner ältesten Anwendung gerade auf dieses Friedensgebot der Dinghegung zurückzuführen zu sein. So hieß es daher noch im Mittelalter: 'Bann und Frieden'; später wurde mit ihm jeder obrigkeitliche Befehl bezeichnet. Der Hegung entsprach am Ende des Gerichts eine unter entsprechenden Förmlichkeiten vorgenommene Enthegung des Dings.

Äußerliche Anordnung[]

Innerhalb des umfriedeten Raumes (des Ringes) nahmen die bewaffnet erschienenen Dingleute auf Steinen oder Bänken Platz. Ein alter in Deutschland lange festgehaltener Brauch lässt den auf eigenem oder erhöhtem Stuhl sitzenden Richter nach Osten blicken: er hatte einen Stab oder ein Schwert in der Hand und verschränkte die Beine. Im Gegensatz zu den an der Rechtsprechung beteiligten Personen (Richter, Dingleute), die sämtlich saßen, standen die streitenden Parteien; der Kläger nach altem Brauch rechts vom Richter, der Beklagte links. Solange das Gericht tagte, war ein Schild, ein Schwert und eine Fahne ausgehängt.

Thingpflicht[]

Der Grundsatz, dass jeder freie Volksgenosse berechtigt und verpflichtet war, sich aktiv an der Rechtspflege zu beteiligen, hatte in der germanischen Zeit die Folge, dass er als Mitglied der Hundertschaft die Hundertschaftsversammlungen, als Mitglied der civitas die Landesgemeinde besuchen musste. In den späteren großen Stammesreichen hörte die Landesgemeinde auf, als Organ der Rechtspflege zu fungieren; die Thingpflicht der Volksangehörigen bezog sich nunmehr ausschließlich auf die Bezirksgerichte.

Diese Bezirksgerichte waren nach ihrer Zusammensetzung entweder Hundertschafts -oder Grafschaftsgerichte: auf jenen hatten lediglich die Angehörigen einer Hundertschaft, auf diesen die einer ganzen Grafschaft zu erscheinen. Ausschließlich Hundertschaftsgerichte kannten die Franken, die Alemannen (nach der fränkischen Eroberung), die Sachsen und Thüringer; ausschließlich Grafschaftsgerichte die Baiern; sowohl Hundertschafts- wie Grafschaftsdinge die Friesen. In England gab es in der letzten angelsächsischen Zeit neben den Hundertschaftsgerichten auch Grafschaftsgerichte, während früher wohl nur eine Art von Gerichten vorhanden war.

Allein mit der Zeit erwies sich die Thingpflicht trotz Fortfalls der Landesversammlungen als eine für die ärmeren Schichten der freien Bevölkerung immer drückender werdende Last, zumal die steigende Kultur häufigere Gerichtssitzungen nötig machte. Nur die Sachsen und Friesen, bei denen die Verhältnisse noch lange den einfachen Zuschnitt der germanischen Zeit bewahrten, hielten die allgemeine Thingpflicht in dem alten vollen Umfange aufrecht. Bei den Franken wurde die Unterscheidung von echten und gebotenen Dingen benutzt, um den Grundsatz der allgemeinen Thingpflicht aller Gerichtseingesessenen in Einklang mit den gesteigerten Bedürfnissen der Rechtspflege zu setzen und die Last des Gerichtsdienstes zu erleichtern.

Nach fränkischem Recht waren das gebotene Gericht nur die eigens vom Richter geladenen Hundertschaftseinwohner zu besuchen verpflichtet. Daher konnten die Richter von der Krone angewiesen werden, zu ihnen nicht mehr sämtliche Freie der Hundertschaft, sondern nur eine Auswahl zu entbieten. Was zunächst auf diese Weise als Verwaltungspraxis geübt wurde, erhielt unter Karl dem Großen gesetzliche Geltung. Zwei Kapitularien aus dem Anfang seiner Regierung bestimmten, dass die gesamten Dingpflichtigen einer Hundertschaft, auch die ärmeren, nur zu den Vollgerichten, den echten Dingen (placita generalia) erscheinen hätten, die nicht öfter wie zwei bis dreimal im Jahre stattfinden sollten; zu den übrigen erforderlichen Gerichtstagen, den gebotenen Dingen, sollten nur die maiores natu, d. h. die reicheren und angeseheneren Eingesessenen, geladen werden und zu erscheinen verpflichtet sein.

Diese Vorschriften stellten sich als eine Vorstufe der von Karl dem Großen etwas später unternommenen Einführung des Schöffenamts dar, durch die die Thingpflicht für die gebotenen Dinge auf die Schöffen beschränkt wurde. Von da an gab es nach fränkischem Recht eine allgemeine Thingpflicht nur noch für die drei jährlichen placita generalia. Bei den Baiern und Alemannen, die die Unterscheidung von echten und gebotenen Dingen nicht kannten, brauchten die Dingpflichtigen immer nur auf besondere Ladung zu erscheinen; es lag daher hier in der Hand der Beamten, die Thingpflicht einzuschränken.

Bei den Angelsachsen finden sich keine Spuren von Maßregeln zur Erleichterung der auch hier auf allen Freien ruhenden Thingpflicht, obwohl sie mit der Zeit steigend als Last empfunden wurde; aber tatsächlich trat auch hier eine den kontinentalen Verhältnissen entsprechende Einschränkung ein: die Thingpflicht und die Dingwürdigkeit begann sich gegen Ende der angelsächsischen Periode mit bestimmten Grundstücken zu verbinden, dinglichen Charakter anzunehmen und damit auch hier ein Vorrecht der reicheren Klassen (der Ältesten, witan, sapientes) zu werden.

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Quellen[]

Einzelnachweise[]

  1. vgl. Heck, Altfriesische Gerichtsverfassung. Weimar, 1894. S. 423 ff.