Der Gesang der Totenlieder, Klageliedern bzw. Elegien gehört einerseits zu den Zauberliedern und andererseits zur liturgischen und ritualen Dichtung bei profanen Anlässen. Als Kunstmäßige Einzellyrik bilden Elegien ebenso einen Seitenast des Lobliedes.
Beschreibung[]
Bei den Totenliedern sind einerseits chorische Preislieder auf den Verstorbenen bezeugt. Die Zeugnisse beginnen bei Jordanes (c. 41), der beschreibt, dass die Westgoten ihren in der Schlacht bei Chalons im Jahre 451 gefallenen König Theodorich I., ebenso wie Attila, bei ihrer Bestattung durch Gesänge ehrten. Zum anderen beschrieb Prokopios von Caesarea im 6. Jh. in seinem Bellum Gothicum (BG, II 2) dagegen unartikulierte Klagerufe.
Hauptquellen[]
Die beiden Hauptquellen für Totenlieder sind Jordanes (c. 49), die Totenklage um Attila, und aus dem Beowulfepos (v. 3138 ff) die Totenklage um Beowulf. Während es sich bei Attila um ein Begräbnis handelt, dreht sich das Beowulfepos um Leichenbrand. Beidemale umreiten erlesene Krieger (im Epos 12 an der Zahl) die aufgebahrte Leiche (Jord.) bzw. den Grabhügel (Bw.), indem sie seinen Grabgesang zur Ehrerbietung vortragen.
„Dann umritten den Hügel die rüstigen Helden. Der Edlinge zwölf, die nach altem Brauch in Liedern sangen die Leichenklage und den König priesen. Die kühnen Taten rühmten sie laut und sein ritterlich Wesen. In Wort und Spruch sein Wirken ehrend in geziemender Weise. Das ziert den Mann, den geliebten Herrn durch Lob zu erhöh'n, wenn des Todes Hand aus des Leibes Hülle erlöst die Seele.“
– Beowulfepos: v. 3169 ff. [1]
Von den erhaltenen altenglischen Elegien hat Deors Klage das altertümlichste Gewand; danach die Klage an Eadwacer [2], das erste Frauengedicht der germanischen Literatur. Sein Inhalt streitet gegen eine Situation aus der Heldensage. Die übrigen, längeren Stücke atmen schon mehr den neueren Geist. Die nordische Skaldenpoesie führte mit ihren vom Loblied zum Klagelied hinüber; eine tief düstere Elegie ist Egils "Sonartorrek" - Ode auf den verunglückten Sohn. Auch da machen sich irische Anregungen, eher als englische, bemerkbar.
Attilas Totenklage (Jordanes)[]
Jordanes Wiedergabe der Totenklage um Attila läßt auf etwa 12 Langzeilen des cantus raten, was dem Umfang des gesamten Liedes entsprochen haben dürfte. Attilas Herkunft und Machtstellung, die Summa seiner Taten, und schließlich sein leidloser Tod auf dem Gipfel des Glücks: dies wird, unter preisenden Epitheta und Ausrufen, hingestellt, ohne die Spur einer epischen Fabel. Eine Stegreifdichtung ist durch den Zusammenhang ausgeschlossen; ob die Reiter sich im Gesang ablösten oder alle vereint sangen, wird nicht gesagt; eines Vorsängers geschieht keine Erwähnung.
Bellum Vandalicum (Prokop)[]
Ein schätzenswert klares Zeugnis für eine Elegie bietet Prokopios von Caesarea im 6. Jh. in seinem Bellum Vandalicum (BV. 2, 6) von dem ausgehungerten Wandalenkönig Gelimer (a. 533). Es ist das vorbedachte Lied eines kunstbegabten Mannes; der Inhalt ist das eigene Erlebnis; ein elegisches Zeitgedicht, gemischt aus erzählenden und lyrischen Teilen.
Beowulf[]
Unplastischer als die oben genannte Stelle im Beowulf (v. 3138 ff) über die Totenklage beim Leichenbrand sind jene Zeilen im V. 2108 ff.: "Zu Zeiten auch rührte er selber die Harfe und sang uns Lieder von Sehnsucht und Leid, und seltsame Kunde berichtete treu der beredte König." [1] Hier ist es nich eindeutig, ob die 'wahrhafte und schmerzliche Versrede' (aengl. gyd) eine Elegie ist. Die 'seltsame Kunde' kann in dem Fall auch Lehrhaftes in Versen oder Prosa sein.
Etymologisches[]
Die Totengesänge hießen ahd. sisu, sisua, sisun, auch ahd. sisesang - 'Jammern' und entsprechen dem lat. Carmen lugubre ('Klagen'), nenia, ags. sisâs in dâdsisâs und in sesspilo, d. h. 'Spiel und Gesang bei Leichenbegräbnissen'. Hierher passt das asächs. ses(s)pilon - 'Klagegesänge, Totenlieder'.
Es fällt auf, dass die vielen nordischen Berichte von Fürstenbestattungen über diese Chöre schweigen. Der im Süden ein paarmal erwähnte Gesang bei Überführung der Leiche hin zur Grabstätte kann ebenfalls ein hymnischer Chor gewesen sein. Auch die Worte ae. lícléoð, -sang (auch ahd. charasanc, chareleich?) darf man darauf beziehen.
Davon zu unterscheiden sind allerdings die teuflischen Lieder (lat. carmina diabolica), die bei der Leichenwache in den Stunden der Nacht über den Verstorbenen gesungen wurden, und zum Teil mit Tänzen verbunden waren. Dies war eine mehr geheimnisvolle, magische Gattung der Dichtung, die der Bannung oder Besegnung der abgeschiedenen Seele diente.
In den Althochdeutschen Glossen von Steinmeyer und Sievers [3] heißt es: Nenias, vanitates vel mendacia seu mortiferos cantus lotirspracha (i.e. Franciae lotirspracha). Da lotar - 'locker, leichtfertig' heißt, so müssen diese heidnischen Grabgesänge eher fröhlich als traurig gewesen sein, wozu auch die Angabe einer alten Beichtformel stimmt: ik gihórda hélhinussja endi unhrénja sespilon, mit der Glosse sisuva: spanisciu posi (Possen) iberas nenias. Später z. B. bei Notker Labeo wird "Nenia" mit charasang - 'Klagegesang' übertragen.
Verbote durch die Kirche[]
Neben den Zauberliedern wurden von der christlichen Kirche die germanischen Klagegesänge um die Toten einem ganz besonderen Verbot unterworfen. Hierher gehören auch Beschwörungslieder zum Anrufen der Toten, wie die hellirúna oder dohotrúna, und bei den Nordländern die varðlokkur (Geisterlocklieder), sowie jene carmina diabolica ('Lieder des Teufels'), die das Volk auf den Totenhügeln mit ausgelassenem, lustigem Lachen sang (Synode unter Papst Leo IV., 9. Jh.). Tagelange Tänze und Spiele waren bei einem Todesfall nicht selten, so daß der sisomo (Sänger des Klageliedes) geradezu der musicus ('Musiker') war.
Quellen[]
- Inest commentationis de antiquissima germanorum poesi chorica particula quam scripsit Karolus Muellenhoff (Internet Archive). Karl Müllenhoff. Kiliae, C.F. Mohr, 1847.
- Zur althochdeutschen Allitterationspoesie (Internet Archive). Hermann Möller. Kiel & Leipzig : Lipsius & Tischer, 1888.
- Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 4 Bände (1. Aufl.). Johannes Hoops. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. I, S. 447 ff., §. 7 B (Art. Dichtung)
Einzelnachweise[]
- ↑ 1,0 1,1 Beowulf: Originaltext mit deutscher Übersetzung und Anmerkungen (Heorot.dk)
- ↑ 'Bibliothek der angelsächsischen Poesie (Internet Archive). Christian Wilhelm Michael Grein, Richard Paul Wülker. Kassel : G. H. Wigand, 1883 ff. Bd. 3, 183
- ↑ Althochdeutsche Glossen (Internet Archive). Elias Steinmeyer, Eduard Sievers. Berlin : Weidmann, 1879 bis 1898.