Mittelalter Wiki
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Die Germanen waren bei ihrem Auftreten in der Geschichtsschreibung der Griechen und Römer während der Antike und Spätantike in zahlreiche Völkerschaften gegliedert. Die römischen Historiker Tacitus und Plinius nahmen zu ihrer Zeit an, dass diese aus wenigen Stämmen der Westgermanen hervorgegangen seien und sich in ursprünglich drei politische Völkereinheiten (Ingävonen = Anglofriesen; Istävonen = Franken; Herminonen = Hochdeutsche) gliederten.

Beschreibung[]

Tacitus (58-120 n. Chr.) schrieb über die Germanen (Germ. 2): "Sie preisen in alten Liedern [...] den Gott Tuisko [...] und seinen Sohn Mannus als Ursprung und Gründer ihres Volkes. Dem Mannus verleihen sie drei Söhne, nach deren Namen die Nächsten am Meere Ingävonen, die in der Mitte Herminonen, die Übrigen Istävonen genannt würden." [1]

Plinius der Ältere (23-79 n.Chr.) berichtet (NH IV, 99) [2]: "Die Germanen bilden fünf Hauptstämme: Die Vandalen, zu denen die Burgunden, die Warnen, Chariner und Goten gehören. Einen anderen Hauptstamm bilden die Ingävonen, deren Zweige die Cimbern, Teutonen und Chaucen sind. Am Rhein wohnen die Istävonen; ferner die mitten im Land wohnenden Herminonen, wozu die Sueven, Hermunduren, Chatten und Cherusker gehören. Der fünfte Hauptstamm endlich enthält die Peukiner und Bastarnen, welche an die Dacier grenzen." [3]

Die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Germanen verlief allerdings spätestens seit der vorrömischen Eisenzeit (ab 450 v. Chr.) nicht als Prozeß der Auflösung großer Völkerstämme, sondern als ein beginnender Zusammenschluß kleinerer politischer Gebilde zu größeren. Die einzelnen, von den römischen Schriftstellern lat. civitates genannten Völkerschaften waren von sehr unterschiedlicher Ausdehnung, mal groß wie die Cherusker oder Sueben, mal klein wie die Brukterer; und sie gingen in ihrer Entstehung als Volksstämme auf recht verschiedene gesellschaftliche und politische Vorgänge zurück.

Die meisten näheren Umstände sind unbekannt. Nur vermuten dürfen wir, dass manche aus ursprünglich größeren gesellschaftlichen Einheiten, die sich in einzelne Teile aufgelöst hatten, hervorgegangen, und andere durch Zusammenschluß mehrerer kleiner Sippschaften entstanden sind.

Völkerschaft, Häuptling, Landesgemeinde, Herzog[]

Diese Völkerschaften (die lat. civitates) waren keineswegs alle von anfang an in sich geschlossene, zentralregierte Stammesstaaten. Sie überließen z.B. allgemeine politische Angelegenheiten kleineren Gemeinschaften, den lat. pagi, den Hundertschaften (vergleichbar den Kantonen). Und es gab Unterschiede zwischen den Völkerschaften mit Königsverfassung und denen mit Prinzipatsverfassung:

  • Die Völkerschaften mit Königsverfassung - vornehmlich Ostgermanen - bildeten geschlossene staatliche Einheiten mit einem König an der Spitze.
  • Die Völkerschaften mit Prinzipatsverfassung - vorrangig Westgermanen - hatten keine einheitliche Zentralregierung.

Gaius Iulius Caesar (100-44 v. Chr.) kannte z.B. nur das Regierungssystem der Westgermanen, als er im "De bello Gallico" (6, 23) bemerkt: "Im Frieden hingegen haben sie keine Obrigkeiten über das Ganze, sondern die Häuptlinge der einzelnen Gegenden und Gaue sprechen unter ihren Leuten Recht und beheben die Streitigkeiten." [4]

Häuptlinge[]

Die Häuptlinge (lat. principes) standen an der Spitze der Kantone (lat. pagi), die nach den übereinstimmenden Vorstellungen von Caesar und Tacitus mehrere Tausend Köpfe zählten, und „Hunderte" hießen (daher Hundertschaft), aber mit der Zahl 'Hundert' nichts zu tun hatten, weder mit 100 Höfen noch mit 100 Familien oder 100 Kriegern. Dieser Name war lediglich einem gemeingermanischen Wort entlehnt, was 'eine Menge' bzw. 'einen Haufen' bezeichnente.

Die Häuptlinge leiteten die Versammlungen der Hundertschaften, die in erster Linie Gerichtstage waren, sie führten das Volk in den Krieg, sie bewirkten auch die anfangs jährliche Verteilung des Ackerlandes an die Sippenverbände zur Sondernutzung. Gewählt wurden sie in der Versammlung der Völkerschaft. Als Obrigkeit hatten sie das Recht, sich ein Gefolge zu halten, jährliche Geschenke der Volksgenossen sollten ihnen eine materielle Grundlage für ihre dominierende Stellung bieten. Allerdings verfügten sie über keine monarchische Gewalt, sie wirkten mehr durch persönliche Kraft der Überredung als durch Befehlsgewalt.

Landesgemeinden[]

Die Völkerschaft umfaßte mehrere Hundertschaften und bildete trotz fehlender ständiger Obrigkeit (lat. magistratus) eine Einheit, die die obersten politischen Interessen wahrte. In allen Fragen der Macht war sie maßgebend. Dabei bildete die Landesgemeinde (lat. civitas - 'Versammlung der Bürgerschaft') den Mittelpunkt.

Hier wurden nicht nur alle Volksbehörden, auch die der Hundertschaften, gewählt, es erfolgte auch die feierliche Aufnahme der Jünglinge in die politische Gemeinschaft durch Wehrhaftmachung. Es wurden Klagen entgegengenommen und umfassende Justiz geübt, sowie über Krieg und Frieden entschieden (s. Versammlung). Alle wichtigen politischen Verhältnisse zu regeln, war demnach Sache der Versammlung der Bürgerschaft als Landesgemeinde; nur die laufende normale Rechtsprechung und die agrarische Ordnung war den Hundertschaften überlassen.

Herzoge[]

Die Staaten mit Königsverfassung standen denen mit Prinzipatsverfassung nicht wie Monarchien den Republiken gegenüber. Auch der König hatte damals nur die Gewalt eines Volksbeamten; neben ihm stand die Volksversammlung als maßgebend im politischen Leben. Die zentrale einheitliche Leitung, die die königslose Landesgemeinde in Friedenszeiten nicht hatte, mußte sie sich im Kriegsfall erst verschaffen: sie wählte einen Heerführer, einen Herzog (dux), für die Dauer der kriegerischen Unternehmung. Und da der Krieg in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung eine regelmäßige Erscheinung bei den germanischen Stämme war, so war das provisorische Amt des Herzogs häufig ein ständiger Posten - und leitete zum Königtum hinüber.

Agrar- und Sozialverhältnisse[]

Jeder wehrhafte freie Mann war politisch ein vollberechtigtes Mitglied der Volksgemeinschaft. Heer und Volk waren identisch. Durch die Wehrhaftmachung wurden die Jünglinge selbständig, auch wenn sie im wirtschaftlichen Verband des elterlichen Hauses blieben. Nur eine Anwartschaft auf Austritt aus der Familienmunt (Vormundschaft) gewährte die Wehrhaftmachung, und erst durch die wirtschaftliche Eigenständigkeit wurde dieser Austritt auch ausgeführt.

Solange noch jährlich von den Volksbehörden das Ackerland an die Sippenverbände neu aufgeteilt wurde (s. Feldgemeinschaft), wie es Caesar (Bell. Gall. 6, 22) schilderte: "Auch besitzt niemand bei Ihnen ein bestimmt abgemessenes Feld oder ein eigenes Gebiet. Nur ganze Stämme, Geschlechter und Verbände bekommen alljährlich von ihren Obrigkeiten und Häuptlingen, so viel und wo diese es für gut finden, Feld angewiesen, müssen aber im folgenden Jahr anderswohin ziehen." [4], konnten neue Hausstände ohne weiteres gegründet werden. Auch später bot noch lange Zeit das weite verfügbare Landgebiet Gelegenheit zur wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Söhne eines Hausverbandes. Vgl. Tacitus (Germ. c. 26): "Die Leichtigkeit des Verteilens gewähren die weiten Flächen der Felder." [1]

Diese Harmonie der wirtschaftlichen und politischen Ordnung ergab eine einfache und gleichmäßige soziale Struktur der Bevölkerung. Auch wenn die wirtschaftliche Fürsorge des Staates für die Volksgemeinschaft keineswegs die wirtschaftliche Gleichstellung aller Freien anstrebte und bei der Verteilung auch die verschiedene politische und wirtschaftliche Stellung der Familien, der Vieh- und Sklavenreichtum berücksichtigt wurde, so übte doch der Staat einen Ausgleich und hielt trotz einer gewissen Anerkennung des Adels, d. h. der besonders ausgezeichneten Familien, an einer Gleichberechtigung aller Freien fest.

Nur da, wo schon das Königtum bestand, wurden die Anfänge des Wandels der sozialen Struktur bemerkbar: ein Emporheben Unfreier und Freigelassener zu sozialem und politischem Ansehen durch die Verbindung mit dem Königtum.

Sippe und Staat[]

Die Sippenverbände spielten im gesellschaftlichen Leben der germanischen Völker eine große Rolle. Sie bildeten Gemeinschaften für sich, sie hatten eigenen Frieden, sie gewährten den Ihrigen Schutz, sie standen für jeden Angehörigen bei Streitigkeiten mit Fremden ein, sie sorgten für die Unmündigen und traten ein für Rache oder Strafe. Sie bildeten auch die Grundlage für die Siedlung.

Was Caesar über die Verteilung des Ackerlandes an die Sippenverbände berichtete, findet auch viel später noch Bestätigung: noch im 6. Jhd. hatten sich Baiuwaren und Langobarden sippenweise niedergelassen, und so manche damals gegründeten Dörfer waren frühere Niederlassungen einzelner Sippen.

Aber die Sippenordnung war bei weitem nicht die einzige politische Organisation der germanischen Völker. Schon die ältesten geschichtlichen Beschreibungen der Römer und Griechen über die Germanen lassen politische Verbände erkennen, die über das Sippenwesen hinausreichten. Die Völker (lat. gentes) und Sippen (lat. cognationes), die Caesar erwähnt, waren Verbände, die innerhalb der Volksgemeinschaften standen, die in den Kantonen (lat. pagi) vereint waren. Es gab bei den Germanen bereits eine Art Staatsverbund, der sich weit über die kleineren Sippeneinheiten ausgedehnt hatte.

Religiöser Kult[]

Das Staatsgebilde der germanischen Völkerschaften stand in sehr enger Verbindung mit religiösem Kult. Die politische Gemeinschaft war zugleich Kultgemeinschaft. Vielleicht fungierten anfangs die Volksvorsteher zugleich als Priester. Tacitus kannte besondere Priester neben den politischen Führern. Später war bei manchen Ost- und Nordgermanen der König zugleich Oberpriester, oder Priester zugleich Häuptlinge, wie bei den Kelten.

Auch wo besondere Priester existierten, waren König und Häuptlinge bei wichtigen Kulthandlungen beteiligt, denn die politischen Volksversammlungen waren zugleich Opferversammlungen. Die Priester geboten den Thingfrieden und handhabten eine Strafgewalt, sie allein durften schwere Strafen an Freien vollziehen, darunter Hinrichtung, Fesselung und Züchtigung. Das alles geschah im Namen der Gottheit, wie Tacitus (Germ. c. 7) hervorhebt, nicht im Auftrag des Häuptlings. Sie fungierten auch als Gesetzschirmer und als Gesetzsprecher (s. Versammlung).

So floß Religiöses und Politisches zusammen. Aber trotz des großen Einflusses der religiösen Glaubenswelt auf das gesellschaftliche Leben und die politische Organisation, wirkte die Religion nicht bestimmend, besonders nicht bei den Westgermanen. Es gab Kultverbände, die Abgesandte verschiedener Völkerschaften zusammenführten, ohne dass auch nur der Anlauf genommen worden wäre, diese gesellschaftlichen Einheiten ins Politische zu übertragen. So führten denn auch nicht religiöse, sondern politische und wirtschaftliche Bedürfnisse zu den großen gesellschaftlichen Umbildungen, zu der... Entstehung der Germanischen Stämme.

Verwandte Themen[]

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Quellen[]

Einzelnachweise[]

  1. 1,0 1,1 Tacitus: De origine et situ Germanorum (Germania). Übersetzung "Die Germania des Tacitus". Anton Baumstark: Freiburg 1876. Digitalisat auf Wikisource.
  2. Plinius (NH IV 99): Naturalis Historia. Gaius Plinius Secundus. Um 77 n. Chr. Volltext (lat.) auf Wikisource.
  3. Die Naturgeschichte des Cajus Plinius Secundus (Internet Archive): Ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen versehen. Plinius der Ältere. Übersetzung: Wittstein, Georg Christian; Tippmann Collection. Leipzig : Gressner & Schramm, 1881.
  4. 4,0 4,1 De Bello Gallico (Wikibooks): Liber I - Kapitel V. Gaius Iulius Caesar. Paralleltext Lateinisch–Deutsch auf Gottwein.de.