Die Verbreitung von Runen reicht von der Nordküste des Schwarzen Meeres, über die Ostseeküsten bis hin nach Skandinavien, wo die Fundlage deutlich am unfangreichsten ist. Zumeist sind es kurze Inschriften, bestehend aus einem einzigen oder wenigen Worten, wobei sich jedoch die meisten recht gut archäologisch datieren lassen.
Beschreibung[]
Die Untersuchung der Verbreitung der Runenschrift ist auch eine wichtige Hilfe bei der Frage um die Herleitung der Runen. Auch wenn sie zumeist in den skandinavischen Ländern und in England vorkommen, so waren sie doch keineswegs auf diese Gegenden beschränkt. Denn auch auf dem kontinentalen Festland, wo Goten und andere germanische Stämme wohnten, fand man einzelne Runenzeugnisse mit derselben Art von Zeichen, die in den ältesten Inschriften in Nordeuropa (und in England) vorkommen.
Die Sprache der Inschriften gehören zumeist dem Gotischen und westgermanischen Formen an. Somit liefern die Runendenkmäler aus so verschiedenen Gegenden Europas außerhalb Skandinaviens durch ihre Zeichen und Sprache einen Beweis dafür, dass die germanischen Volksstämme einmal ein gemeinsames Runenalphabet hatten, das im Wesentlichen mit demjenigen übereinstimmt, das wir auf den ältesten Zeugnissen in Nordeuropa finden -> siehe Älteres Futhark.
Funde[]
Außerhalb von Nordeuropa und England fanden sich z.B. mehrere Brakteaten mit Runen in Norddeutschland (z.B. in Dannenberg (Elbe), Hannover) und Polen (z.B. in Wapno bei Wangrowiec). Zu den ältesten und bekanntesten Funden von Runeninschriften gehören u.a:
- 1. Jahrhundert:
- Die Runenfibel von Meldorf (um 50 n. Chr.)
- 2. Jahrhundert:
- Der Kamm von Vimose (um 160 n. Chr.)
- 3. Jahrhundert:
- Das Ortband von Thorsberg (ca. 200-250 n.Chr.)
- Das Speerblatt von Øvre Stabu (um 210-240 n. Chr.)
- Das Speerblatt von Rozwadów (um 240-310 n. Chr.)
- Das Speerblatt von Kowel (um 240-340 n. Chr.)
- Das Speerblatt von Müncheberg (um 250 n. Chr.)
- Der Kamm von Frienstedt (um 260-290 n. Chr.)
- 4. Jahrhundert:
- 5. Jahrhundert:
- Der Goldring von Pietroassa (um 410-440 n. Chr.) aus dem Schatz von Pietroasa in Rumänien.
- Die Goldhörner von Gallehus (um 425 n. Chr.)
- Der Brakteat von Körlin (um 490-540 n. Chr.)
- Der Ring von Körlin (um 490-540 n. Chr.)
- 6. Jahrhundert:
- Die Bügelfibel von Hohenstadt (um 510-560 n. Chr.)
- Die Bügelfibel von Bad Ems (um 540-590 n. Chr.)
- Die Bügelfibel von Freilaubersheim (um 540-590 n. Chr.)
- Die Bügelfibel von Nordendorf (um 540-590 n. Chr.)
- Die Bügelfibel von Charnay (um 560-590 n. Chr.)
- Die Bügelfibel von Mayen (um 560-590 n. Chr.)
- Die Scheibenfibel von Friedberg (um 560-610 n. Chr.)
- Die Scheibenfibel von Osthofen (um 590-610 n. Chr.)
Literarische Quellen[]
Tacitus[]
Wenn verschiedene Schriftsteller die bekannte Äußerung von Tacitus über die Germanen: „Litterarum secreta viri pariter ac feminae ignorant.“ (Germ. c. 19) [1] als Beweis dafür brachten, dass sie zu seiner Zeit die Schrift nicht kannten, so beruht dies auf einem Misverstehen von Tacitus' Worten, die man unrichtig übersetzte: „Männer und Weiber sind in gleichem Grade mit dem Geheimnis der Buchstabenschrift unbekannt.“
Diese Deutung würde voraussetzen, dass Tacitus das Schreiben überhaupt als Geheimnis betrachtete oder „das Geheimnis der Buchstabenschrift“ müsste dasselbe bezeichnen wie „die Buchstabenschrift im Allgemeinen“. So könnte sich vielleicht der eine oder der andere moderne Schriftsteller ausdrücken; aber nach Tacitus' ganzer Ausdrucksweise kann litterarum secreta bei ihm nicht dieselbe Bedeutung haben wie litterae; wollte er nichts anderes sagen, als dass die Buchstabenschrift den Germanen unbekannt war, so hätte er dies einfach durch die Worte litteras ignorant oder litterarum ignari ausgedrückt.
Tacitus spricht an dieser Stelle über die Heiligkeit der Ehe und die Keuschheit der germanischen Frauen: „So leben da die Frauen mit wohlgeschützter Keuschheit, ohne durch schlüpfrige Schauspiele oder durch Reizungen der Gelage verdorben zu werden...“ Daher bezeichnet litterarum secreta parallel mit „den schlüpfrigen, verführerischen Schauspielen" und „den aufreizenden Gelagen" ein drittes, den Römern wohlbekanntes Verführungsmittel „der Schrift Geheimwege“. Es muss daher als „heimlicher Briefwechsel, heimlichen Liebesbriefen, die Männer und Frauen einander sandten", verstanden werden.
Außerdem erwähnt Tacitus an anderen Stellen einen Brief des Markomannenkönig Marbod (Maroboduus) an Tiberius (Ann. II, 63) und des Chattenfürsten Adgandester (Adgandestrius) an den römischen Senat (Ann. II, 88). Diese Briefe waren lateinisch und mit lateinischen Buchstaben geschrieben - von Marobod wissen wir, dass er sich längere Zeit in Rom aufgehalten hatte. Daraus geht hervor, dass zum mindesten hochstehende Germanen sich schriftlich in einer fremden Sprache ausdrücken konnten. Und es liegt dann nahe, dass sie auch versuchten, ihre eigene Sprache mit den lateinischen Schriftzeichen zu schreiben, wie es auch bei den Galliern zu der Zeit der Fall war. Von da aus war der Schritt zur Bildung eines eigenen Alphabetes für ihre Sprache (der Runen) nach den lateinischen Buchstaben leicht.
Venantius Fortunatus[]
Es ist unwahrscheinlich, dass die Germanen bereits zu Tacitus' Zeit (um 58-120 n. Chr.) die Runenschrift kannten. Erst mehrere Jahrhunderte nach ihm legte Venantius Fortunatus (um 540-600/610) beiläufig ein ausdrückliches Zeugnis vom Gebrauch der Runen bei den Germanen ab, denn in einem Brief an seinen Freund Flavus, fordert er diesen auf, ihm entweder lateinisch oder in einer anderen Sprache zu antworten; wenn er nicht lateinisch schreiben wolle, könne er ja z. b. mit „barbarischen Runen“ auf Holztafeln oder auf einem glatten Holzstab schreiben.
Diese „barbarischen Runen“ bezeichnen nach dem Zusammenhang eine Schrift, die nicht nur Venantius, sondern auch Flavus wohlbekannt war. Daher liegt es nahe, dass wir nicht an die fernliegenden nordischen Runen denken dürfen, sondern dass barbara runa als die speziell germanische („barbarische") Schrift in Gegensatz zur lateinischen gestellt wird.
Das zeigt also, dass die Runen, wie man sie z. B. auf den Fibeln von Charnay, Nordendorf u.s.w. findet, noch am Ende des 6. Jhds von germanischen („barbarischen") Völkern (besonders den Franken) benutzt wurden, obgleich sie der lateinischen Schrift mehr und mehr wichen. Und Venantius klärt gleichzeitig darüber auf, dass die Runenschrift auf Holztafeln oder Holzstäbe eingeritzt wurde, die als Briefe dienten. → Siehe: Schreibmaterial für Runen.
Die Entwicklung der Runenschrift[]
Durch Venantius Fortunatus wissen wir, dass die Germanen am Ende des 6. Jhds. eine eigentümliche Buchstabenschrift unter dem Namen Runen kannten. Das wird durch die speziell germanischen Runendenkmäler (die Fibeln von Charnay, Nordendorf u.s.w.) positiv bestätigt, unter denen die ältesten in die Zeit Venantius' fallen (s. Herleitung der Runen).
Dass die Runenschrift allerdings älter ist, wird durch die speziell gotischen Runendenkmäler bewiesen (die Speerblätter von Kowel und Müncheberg samt dem Bukarester Ring), und die in das 3. bis 5. Jhd. gesetzt werden, also in dieselbe Zeit, in welche auch die ältesten der im Norden gefundenen Runenschriften (z.B. die Inschriften aus dem Ortband von Thorsberg und dem Kamm von Vimose) gehören. Außer den genannten gotischen Runenschriften haben wir aber noch einen anderen wichtigen Beweis dafür, dass die Goten im 4. Jhd. die Runenschrift gekannt haben: den Codex Vindobonensis 795, der außem dem gotischen Alphabet auch das → angelsächsische Futhark enthält.
In den skandinavischen Ländern hielt sich die Runenschrift so lange im allgemeinen Gebrauch, dass sie im Laufe der Zeit vielfältige Veränderungen erlebte und sich an verschiedenen stellen sehr verschieden entwickeln konnte. Siehe dazu: das → ältere Futhark.
Galerie[]
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Quellen[]
- Hoops, Johannes. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 1. Auflage, 4 Bände. K. J. Trübner, Straßburg 1911-1919. Bd. IV, S. 5 ff.
- Wimmer, Adalbert. Die Runenschrift (Internet Archive). Berlin : Weidmann, 1887. S. 56 ff.
Literatur[]
- Tacitus, Ab excessu divi Augusti (Annales)'. Digitalisat auf Wikisource (lat). Übersetzung auf Gottwein.de.
- Tacitus, De origine et situ Germanorum (Germania) (Wikisource). Übersetzung Die Germania des Tacitus (Wikisource). Anton Baumstark: Freiburg 1876. Kap. 19
Einzelnachweise[]
- ↑ Tacitus, De origine et situ Germanorum (Germania) (Wikisource). Übersetzung Die Germania des Tacitus (Wikisource). Anton Baumstark: Freiburg 1876. Kap. 19